6.4 Der Große Terror und die '5. Kolonne'

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6.4 Der Große Terror und die '5. Kolonne'

Die '5. Kolonne' wurden die Russlanddeutschen seit der Machtübernahme der Nazis in Deutschland immer öfter genannt. Auch sie wurden Opfer von Stalins Großem Terror.

Anmerkungen zu dieser Seite:

  • Es gibt wiederholte Elemente:
    • dreimal Darstellung 1, Quelle 5 und Aufgabe 2
    • viermal Darstellung 3
    • zweimal Quelle 2, 3, und Darstellung 6
  • keine Bildbeschreibung
  • Aufklappkästen haben keine Quelle mehr
  • es gibt Aufklappkästen, die keine Nummerierung haben (z. B. „Darstellung“)
§ Cc4

Es ist spätabends. Josef Stalin kommt soeben zufrieden aus dem Ballett, denn die Vorführung des 'Schwanensees' war ganz vortrefflich. Es ist sein Lieblingsstück. Zu Bett geht der große Diktator aber noch lange nicht, wie gewohnt stapeln sich noch die Dokumente auf seinem Schreibtisch. Er setzt sich, nimmt den Füller in die Hand, greift sich das erste Papier. Es sind die üblichen Todesurteile gegen 'Staatsfeinde' aller Art; Parteigenossen, 'Kulaken', Minderheiten, Deutsche und wer sonst noch in den stalinistischen Fettnapf passte... Die große Säuberung der für ihn unliebsamen Personenkreise hat längst begonnen! Betrübt ist Stalin deswegen heute nicht, wie könnte er auch, die Vorführung war fantastisch...

So endet die Nacht irgendwann und Josef Stalin legt sich endlich schlafen. Auf seinen Schreibtisch hinterlässt er über 3.000 ausgestellten Todesurteile. Die meisten von ihnen trafen Unschuldige.

Darstellung 1

Die Minderheiten an den Ostgrenzen galten Stalin als Risikofaktor. Sie konnten Agenten ihres Landes sein und u.a. die grenznahen militärischen Anlagen preisgeben. Sie mussten demnach weg. Eine offizielle Kommission sollte das Vorhandensein von feindlichen Elementen im deutschen Grenzrayon untersuchen. Nicht überraschend lautete ihr Urteil, dass zahlreiche deutsche Kulaken in den Kolchosen angetroffen worden sind. Gefahr! Pulin sei demnach der Nährboden für kulakisch-faschistische Elemente. Damit war der Beschluss des Zentralkomitees 1934 unter Stalin legitimiert, die Entfernung dieser „unzuverlässigen Elemente“ polnischer und deutscher Herkunft. Zunächst siedelte man 8.329 Familien bzw. 41.650 Personen aus den grenznahen Gebieten Kiew und Vinnica in den Osten der Ukraine um. Unter ihnen fanden sich 1.903 deutsche Familien. An ihrer Stelle sollten die besten ukrainischen Genossen angesiedelt werden. Als Abschluss dieser Maßnahme löste das Zentralkomittee den grenznahen Rayon Pulin gleich mal ganz auf. Man konnte ja nie wissen... Weitere Aussiedelung dieser Art wurden in den folgenden Monaten beschlossen, ehe das Zentralkomitee Anfang 1936 im Gefühl der weiteren Existenz von Staatsfeinden noch drastischer handelte. Der Fokus lag auf den vier deutschen Rayons der Gebiete Krim und Vinnica, wo das NKVD eine Entstehung von zukünftigen terroristischen Zellen vermutete. Die Deportierung entfernte schließlich 15.000 Familien (23 Prozent Deutsche) aus ihrer ukrainischen Heimat. Die Eisenbahn hielt für sie erst in Karaganda (Kasachstan) wieder an.

Kulaken/kulakisch: Großbauern

Darstellung 1

§ Cc4

Am 1. Dezember 1934 wurde der führende sowjetische Politiker Sergei Kirow erschossen. Die Gründe für diesen Mord waren unklar. Manche Hinweise sprachen dafür, dass es sich um eine Tat aus Eifersucht gehandelt haben könnte. Gerüchte besagten, dass Kirow eine Beziehung mit der Frau des Mörders gehabt habe.

Stalin ließ diesen Mord zu einem politischen Attentat erklären. Er wurde zum Auslöser für die Verfolgung und Vernichtung möglicher, angeblicher Staatsfeinde. Und Stalin nutzte die Gelegenheit, um politische Gegner beseitigen zu lassen. Wenige Tage nach dem Attentat wurde das 'Gesetz des 1. Dezembers' erlassen: Es machte Vorgaben für den Umgang mit Terrorverdächtigen. Während der 'Säuberungen' kam es zur Anwendung:

  • Die gerichtlichen Untersuchungen sollten nicht länger als 10 Tage dauern. 
  • Die Anklageschrift sollte Tatverdächtigen erst einen Tag vor der Verhandlung überreicht werden. 
  • Eine Anhörung der Beschuldigten war nicht vorgesehen, auch keine Überprüfung des Urteilsspruchs.
  • Auch Gnadengesuche waren nicht zugelassen. 
  • Eine Todesstrafe musste sofort vollstreckt werden.

Darstellung 1

Die Repressalien gegen die Sowjetdeutschen fanden überall im Lande statt. So wurde bereits im Oktober 1935 der gesamte deutsche Bezirk (rayon) Pulin in Wolhynien aufgelöst und dessen Bewohner zwangsumgesiedelt. Selbst in den entlegensten Teilen des Landes, wie in Georgien, konnten sich die Deutschen vor Anklagen wegen „Spionage“ und „Zellenbildung einer sowjetfeindlichen Partei“ nicht in Sicherheit wähnen. Ein Witz oder eine kurze Bemerkung konnten die Freiheit kosten.
Anders als die übrigen Völker der Sowjetunion wurden die Deutschen nun nicht mehr primär nach dem Aspekt der Klassenzugehörigkeit verfolgt, sondern nach dem der Nationalität. Deutlich wird dies an der Einberufungspraxis der Roten Armee. Nachdem die Zahl der deutschen Soldaten ab 1933 stetig gesunken war, wurde deren Einberufung im Jahre 1936 gänzlich gestoppt [...].

Quelle 1

Hinweis: Das Zentralkomitee (ZK) der Kommunistischen Partei beschloss am 5. November 1934 eine Verordnung, in der alle Gebiets- und Parteikomitees verpflichtet wurden, die Deutschen streng zu behandeln: 

Im ZK WKP (B) sind Meldungen darüber eingegangen, dass in den deutsch angesiedelten Regionen sich neuerdings antisowjetische Elemente aktiviert haben und offene konterrevolutionäre Tätigkeit führen. Unterdessen reagieren die örtlichen Parteiverbände und Organe des NKWD äußerst gelassen auf diese Tatsachen, sie leisten dem Vorschub, in der fälschlichen Annahme, unsere internationale Politik fordere diese Duldung gegenüber den Deutschen oder anderen in der UdSSR lebenden und gegen die elementare Loyalität gegenüber der Sowjetmacht verstoßenden Nationalitäten. Das ZK WKP (B) hält die Tatsache, dass in den deutschen Regionen nicht nur die Sprache der jeweiligen Sowjetrepublik, in der sich die Region befindet, nicht gelehrt wird, sondern die Verordnungen des ZK WKP (B) ignoriert werden, ebenfalls für absolut unzulässig und verlangt die Beseitigung dieser Mängel.

Das ZK WKP (B) hält solches Verhalten der Parteiverbände und der NKWD-Organe für absolut falsch und ordnet an, in Bezug auf die aktiven Konterrevolutionäre und antisowjetisch gestimmten Elemente repressive Maßnahmen, Verhaftungen, Aussiedlung anzuwenden und die böswilligen Anführer zum Erschießen zu verurteilen. [...]

1. Die Legende von der '5. Kolonne' und die verstärkte Unterdrückung der Russlanddeutschen

§ Cc4
§ Cc4

Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum deutschen Reichskanzler ernannt. Es begann die Diktatur der Nationalsozialisten. Bei den Machthabern in Moskau lösten diese Nachrichten aus Deutschland große Unruhe und Besorgnis aus. Die deutsch-sowjetischen Beziehungen waren schon lange angespannt. Die aggressive NS-Diktatur in Zentraleuropa mit ihren Plänen zur 'Rettung' und 'Heimholung' aller Auslandsdeutschen belastete die politische Stimmung zwischen beiden Ländern.

Das spürten auch die deutschen Kolonisten in der Sowjetunion. Der sowjetische Geheimdienst warnte immer mehr vor deutschen Spionen und den 'faschistischen Agenten' im Lande. Damit waren die Russlanddeutschen gemeint. Die Legende der sogenannten fünfte Kolonne wurde geschaffen, also eines Feindes, der wie eine Armeekolonne des Feindes handelt. Die sowjetische Propaganda richtete sich immer mehr gegen die Russlanddeutschen: Sie sprach von einer angeblichen Selbstisolation der Deutschen, schürte Neid auf deren höheren Lebensstandard und ihre Sprachkenntnisse. Auch die Bereitschaft zur Auswanderung und die vielen Auslandskontakte der Russlanddeutschen wurden gegen sie gewendet.

Wahrscheinlich glaubten viele Russen bald wieder daran, dass die Deutschen im Land 'illoyal' und 'reaktionär' seien und sich in einem Krieg zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion auf die Seite der deutschen Truppen stellen würden. Mit der zunehmenden Festigung der Macht der Nationalsozialisten in Deutschland verschärften die kommunistischen Machthaber ihre Maßnahmen gegen die Russlanddeutschen in der Sowjetunion. Ähnlich wie in der Zarenzeit wurden bald 'vorsorglich' die westlichen Grenzbewohner aus ihrer Heimat entfernt und nach Kasachstan deportiert. Der Druck auf alle Russlanddeutschen stieg in den 1930er Jahren ständig weiter an. Er mündete 1936 in Verhaftungen und Erschießungen wegen 'erwiesenen' Landesverrats. Die Deutschen standen wieder unter Generalverdacht.

2. Der Große Terror und die deutsche Operation

§ Cc4

Im April 1937 berichtete der Chef des sowjetischen Geheimdienstes Nikolai Jeschow über eine ansteigende Aktivität deutscher Geheimdienste und der NSDAP auf dem Gebiet der Sowjetunion. Er glaubte sich von Spionen aus Deutschland unterwandert, die überall terroristische Sabotageakte vorbereiteten. Russlanddeutsche Sowjetbürger würden, so glaubte Jeschow, von Agenten aus Deutschland gezielt angeworben. Diese Aktivitäten hätten das Ziel, im Untergrund eine Armee gegen die Sowjetunion aufzubauen. Bei Ausbruch eines Krieges zwischen Deutschland und der Sowjetunion würden die Untergrundkämpfer losschlagen. Infolge dieser 'Situation' müssten alle Deutschen aus den Industrieregionen der Ukraine deportiert werden.

Am 25. Juli 1937 startete die Operation sowjetischer Behörden gegen die deutschstämmigen Sowjetbürger. Auf Anweisung Josef Stalins wurden erst einmal alle aus Deutschland stammenden Bürger, die als Spezialisten in rüstungsrelevanten Fabriken, Kraftwerken und auf Großbaustellen arbeiteten, entfernt und verhaftet – ohne Ausnahme. Wenige Tage später wurde dieser 'Säuberungsbefehl' auch auf die russlanddeutschen Kolonisten angewandt. So wurden zum Beispiel Menschen verhaftet und erschossen, die Hilfspakete aus Deutschland angenommen hatten. Wer aus politischen Gründen von Deutschland in die Sowjetunion geflohen war, geriet unter Verdacht. Frühere Kriegsgefangene, deutsche Kommunisten, Besucher deutscher Konsulate – sie alle wurden verdächtigt, Spione zu sein. Auch die Rote Armee wurde von Deutschen 'gesäubert'.

Die Listen der sogenannten Staatsfeinde waren Ende des Jahres 1937 abgearbeitet, doch vermuteten Stalin und Jeschow, dass es noch mehr Spione geben müsse. Die Jagd ging deswegen bis zum September 1938 weiter. Und wenn keine 'Beweise' für einen Schuldspruch gefunden wurden, genügte für eine Verurteilung schon allein die deutsche Nationalität.

Quelle 2

Durch Agentur- und Untersuchungsmaterial der letzten Zeit ist bewiesen, daß der deutsche Generalstab und die Gestapo in breitem Maße Spionage und Spionagetätigkeit in den wichtigsten und vor allem in den Betrieben der Verteidigungsindustrie betreiben und zu diesem Zweck die dort seßhaft gewordenen deutschen Staatsangehörigen nutzen. Das Agentennetz aus den Reihen der deutschen Staatsangehörigen, die bereits jetzt Schädlings- und Sabotageakte verwirklicht, richtet ihre Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die Organisation von Sabotageaktionen in der Kriegszeit und bereitet zu diesem Zweck Saboteure vor. Zur vollständigen Unterbindung dieser Tätigkeit der deutschen Aufklärung befehle ich:

1. Innerhalb von drei Tagen nach Erhalt dieses Befehls die deutschen Staatsangehörigen genau festzustellen [...].

2. Ab dem 29. Juli dieses Jahres ist mit der Verhaftung aller von Ihnen festgestellten deutschen Staatsangehörigen zu beginnen, die in Militärbetrieben und in Betrieben mit Werkshallen für die Verteidigungsproduktion und bei der Eisenbahn arbeiten sowie der aus diesen Betrieben Entlassenen, wenn diese auf dem Territorium Ihrer Republik, Region oder Ihres Gebietes leben. Die gesamte Verhaftungsaktion ist innerhalb von fünf Tagen abzuschließen.

3. Deutsche Politemigranten, die in Militärbetrieben und in Betrieben mit Werkshallen für die Verteidigungsproduktion arbeiten, sind nur dann zu verhaften, wenn sie weiterhin deutsche Staatsangehörige sind. [...]

4. Die Untersuchung hinsichtlich der Verhafteten ist besonders sorgfältig zu führen. Es ist die bisher nicht entlarvte Agentur der deutschen Aufklärung aufzudecken, um das von ihr in den Industriebetrieben hinterlassene Sabotagenetz endgültig zu zerschlagen. [...]

5. Während der Untersuchung unter Sowjetbürgern oder auch Angehörigen anderer Staaten neu festgestellte deutsche Agenten und Spione, Saboteure und Terroristen unabhängig von ihrer Arbeitsstelle unverzüglich zu verhaften.

6. Gleichzeitig mit der Durchführung der Aktion ist daranzugehen, alle deutschen Staatsangehörigen, die in anderen Industriebetrieben, in der Landwirtschaft und in Sowjeteinrichtungen arbeiten, sowie ehemalige deutsche Staatsangehörige, die die sowjetische Staatsbürgerschaft angenommen und früher in Militärbetrieben oder in Betrieben mit Werkshallen für die Verteidigungsproduktion gearbeitet haben, sorgfältig zu erfassen. [...]

7. Täglich sind mir bis 12 Uhr für den vergangenen Tag telegraphisch der Verlauf und die Ergebnisse der Aktion und alle durch die Untersuchung erhaltenen Materialien zu übermitteln.

8. Der Befehl ist telegraphisch in Kraft zu setzen.

Volkskommissar des Inneren der Union der SSR
Generalkommissar für Staatssicherheit (N. Jeschow)

Gestapo: Die 'Geheime Staatspolizei' der Nationalsozialisten war eigentlich für die Verfolgung von politischen Gegnern in Deutschland zuständig. Die sowjetische Geheimdienst verdächtigte sie aber auch der Spionage im Ausland.

Quelle 2

Hinweis: Bei dem folgenden Bericht handelt sich um Angaben aus einem Schreiben des Vorsitzenden des Volkskommissariats der Kasachischen SSR, U. Isaev, an den Vorsitzenden des Rats der Volkskommissare der UdSSR, W. M. Molotov, in Moskau vom 27. April 1937.

In den Gebieten Karaganda und Nord-Kazachstan der Kazachischen SSR wurden in der zweiten Hälfte des Jahres 1936 14.048 Familien (vorwiegend Deutsche und Polen) aus grenznahen Gebieten der Ukraine angesiedelt. Die Ansiedlung dieser Familien erfolgte auf nicht erschlossenen Territorien, auf denen es bisher keine Siedlungen gab. Für diese wurden 37 Siedlungen neugegründet. [...] Die im Jahre 1936 erstellten Gebäude für Schulen und medizinische Einrichtungen entsprechen weder zahlenmäßig noch qualitativ den Mindestanforderungen. Außerdem gibt es überhaupt keine Gebäude für das Post- und Fernmeldewesen. Für größeres landwirtschaftliches Inventar, Traktoren, Mähdrescher und Hänger wurden einfachste Garagen errichtet, in denen lediglich kleinere Reparaturen durchgeführt werden können.

Quelle 3

Die von mir und von den durch mich zu diesem Zwecke angeworbenen Pastoren geleistete, pangermanische Spionagearbeit bestand vor allem darin:

  1. die deutschen Kolonisten im konterrevolutionären, nationalsozialistischen germanophilen Geiste zu beeinflussen;
  2. die deutschen Kolonisten zu ideologischen Feinden der internationalistischen Politik der Sowjetmacht und der von dieser in diesem Bereich vollzogenen Maßnahmen zu erziehen;
  3. der Durchführung sämtlicher Maßnahmen der Sowjetmacht in den Kolonien entgegenzuwirken;
  4. Spionagetätigkeit für Deutschland zu leisten und kompromittierendes Material zusammenzutragen und schließlich;
  5. als Endziel all dieser Aktivitäten konterrevolutionäre feindliche Kader aus den Reihen der deutschen Kolonisten auszubilden, die für den Fall außenpolitischer Komplikationen gebraucht werden, um einen schnellstmöglichen Sturz der Sowjetmacht herbeizuführen.

Quelle 3

Bei einem bedeutenden Teil der deutschen Bevölkerung hat die Veröffentlichung des Erlasses [vom 28.08.1941] feindselige Gefühle hervorgerufen: Äußerungen der Deutschen zum Erlass laufen hauptsächlich auf Versuche hinaus, die Behauptung zu widerlegen, die deutsche Bevölkerung verberge in ihrer Mitte Feinde des sowjetischen Volkes und der Sowjetmacht.

Hinweis: Auszug aus einem Brief des Sekretärs des Gebietskomittees der VKP (b) der ASSRdWD, S. Malov an Stalin

Darstellung 3

Das ist eine fiktive Erzählung, die anhand von historischen Fakten die Arbeit der Troika beschreiben soll.

Es ist noch sehr früh am Morgen als Sergej Nikoleijewitsch aufsteht, denn gestern am 5. Juli traf ein Telegramm aus Moskau ein, es bedeutet viel Arbeit. Dem Wortlaut nach, soll er sich mit zwei NKVD-Offizieren aufmachen, um die Listen von Volksfeinden im Rayon mit samt vorgeschlagenen Strafmaß anzufertigen. Bisher kennt er noch keinen Einzigen. Doch das wird schon, denkt er sich. Schließlich gibt es hier auch eine Menge Deutsche jenseits der Wolga. In diesem Moment klopft es an der Tür, das müssen die beiden Offiziere sein. „Guten Morgen, Genossen!“

Die Besprechung am Morgen verlief kurz und knapp. Nun steht das Dreigespann, die Troika, in der örtlichen Polizeistation. Die Akten von Straftaten jeder Art werden von beiden verlangt. Besonderes Interesse gilt den Teilnehmern von Aufständen, dem Umfeld der Moskauer Flüchtlingskrise von 1929 und natürlich den ehemaligen Kulaken. Alles wird grob durchgesehen und dann mitgenommen. Danach laufen sie zum Einwohnermeldeamt. Auch hier findet Sergeij allerhand feindliche Subjekte, das verraten ihm schon allein die Namen. Morgen werden sich die drei „Detektive“ in den umliegenden Dörfern umhören, die Leute werden sicher gern Auskunft geben wollen.

Fünf Tage später: Die Liste ist weitestgehend fertig. Ein paar tausend Namen stehen entweder unter Kategorie I zum Tode durch Erschießen oder Kategorie II Verurteilung zu 8 bis 10 Jahren Besserungslager. Das muss Genosse Stalin entscheiden und unterschreiben.

Anfang August: Die Verurteilung von Reichs- und Russlanddeutschen ist seit dem 25. Juli voll im Gange. Wieder sitzt ein Schuldiger vor Sergej und den beiden Offizieren. Das Geständnis über die beabsichtigte faschistische Sabotage liegt vor dem Deutschen: Er aber will einfach nicht unterschreiben. Dabei ist er schon grün und blau geschlagen und seit 42 Stunden wach. Doch bald wird er mit seiner angebrochenen Hand den Stift halten und sein Todesurteil unterzeichnen, da ist sich Nikolaijewitsch ganz sicher... Seine letzte Reise führt den Deutschen heute noch in den nahegelegenen Wald...

Darstellung 3

Das Ausmaß der Verfolgung in den 1930er Jahren erreichte in der Autonomen Sowjetischen Sozialistischen Republik der Wolgadeutschen (ASSRdWD) bei weitem nicht die Dimensionen, die es unter den verstreut lebenden Landsleuten in der Ukraine, auf der Krim oder in Sibirien zu verzeichnen gab. Deutlich geht das aus der Tatsache hervor, dass den Aussiedlungen von Polen und Deutschen im Jahre 1936 aus den westlichen Grenzgebieten der Ukraine nach Nordkasachstan keine weiteren „Transfers“ aus der Wolgarepublik folgten. Immerhin besaß die bolschewistische Führung vor dem Zweiten Weltkrieg noch gewisse Hemmungen, die Statusvölker – d.h. solche, die über ein autonomes Territorium verfügten – komplett zu entrechten.

Darstellung 3

Die Strafen waren ausgeführt, die potentiellen Gefahren schienen vorerst beseitigt, doch das Misstrauen blieb. Bereits 1937 mussten die Russlanddeutschen bei den Behörden als Nationalität Deutsch angeben. Im folgenden Jahr schritt der Staat zur Auflösung aller deutschen Rayons außerhalb des Wolgagebiets [...]. Die deutschen Kultur- und Bildungseinrichtungen erhielten Schließungsbeschlüsse, während die Schule und die Zeitung russisch wurde. Die Lehre in deutscher Sprache galt fortan als schädlich. Der Deutsche war insgesamt als vollwertiges Mitglied aus der russischen Gesellschaft abgetrennt worden. 

Darstellung 3

Das Misstrauen gegen Deutsche in der UdSSR bleib auch nachdem die Strafen vollzogen wurden und die vermeintlichen Gefahren beseitigt waren. Dies führte dazu, dass Russlanddeutsche als vollwertige Mitglieder aus der russischen Gemeinschaft ausgeschlossen wurden. Russlanddeutsche mussten:

  • im Jahr 1937 als Nationalität „Deutsch“ angeben
  • die Auflösung aller deutschen Rayons hinnehmen, die außerhalb des Wolgagebietes lagen
  • eigene Kultur- und Bildungseinrichtungen schließen
  • die deutsche Sprache zugunsten des Russischen aus der Schule verbannen.

3. „Aussiedeln muss man sie, dass die Türen knallen!“

§ Cc4

Diesen Satz sagte Stalin über die Russlanddeutschen nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion. Wie kam es dazu?

Am 24. August 1939 wurde in Moskau der sogenannte deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt unterzeichnet. Die Russlanddeutschen schöpften Hoffnung. Wenn sich die Beziehung zwischen der Sowjetunion und Deutschland verbesserte, würde das auch ihre Lage verbessern. Doch passten die Diktaturen in Deutschland und der Sowjetunion letztlich nur in ihrer Grausamkeit zusammen, politisch standen sie auf völlig unterschiedlichen Seiten.

Am 22. Juni 1941 brachen die deutschen Nationalsozialisten den Vertrag und überfielen die Sowjetunion. Bereits wenige Tage später kam es zur Besetzung von Teilen der Ukraine. Stalin erreichten ungenaue Meldungen über Verrat und Kollaboration der deutschen Bevölkerung. Er ging davon aus, dass die Wolgarepublik bald von Truppen der Wehrmacht besetzt werden würde. Aus Sicht Stalins und der sowjetischen Führung war die Zeit gekommen, ohne Rücksichtnahmen gegen die Russlanddeutschen vorzugehen. Das Feindbild der '5. Kolonne' war bereits seit Jahren entwickelt worden, nun holte Stalin zum großen Schlag gegen die deutsche Minderheit aus: Alle Deutschen sollten aus dem europäischen Teil der Sowjetunion deportiert werden.

Mit dem Deportationserlass vom 28. August 1941 unterstellte die sowjetische Staatsführung den Wolgadeutschen, dass es unter ihnen tausende Verräter und Spione gäbe. Deswegen sollten alle Deutschstämmigen ausgesiedelt werden. Als Beweis für den angeblichen Verrat dienten Hakenkreuzfahnen, die man bei Russlanddeutschen gefunden hatte. Sie waren anlässlich eines vor dem Krieg geplanten Besuchs von Adolf Hitler in der Sowjetunion verteilt worden. Die Bestrafung für den Verrat betraf jeden, auch Kommunisten. Allein die deutsche Nationalität war entscheidend. Das deutsche Leben im gesamten europäischen Gebiet der Sowjetunion sollte ausgelöscht werden. Aus dem Wolgagebiet wurden innerhalb von drei Wochen etwa 400.000 Menschen in Eisenbahnwaggons gepfercht und nach Osten transportiert.

Alle Deportierten erwartete eine wochenlange Reise nach Sibirien oder Kasachstan. Dort wurden tausende Männer und Frauen ins Arbeitslager gebracht. Fern von ihren Familien starben viele Deutsche an Hunger, Entkräftung und Krankheiten. Eine Rückkehr in die Heimat war nicht vorgesehen.

Darstellung 4

Der Erlass vom 28. August 1941 hat bei vielen Russlanddeutschen feindselige Gefühle hervorgerufen. Sie versuchten daher, in ihren Äußerungen die Behauptungen, dass die deutsche Bevölkerung Feinde des sowjetischen Volkes und der Sowjetregierung verstecke, zu widerlegen.

4. Die neue 'Heimat' der Deportierten

Als die neuen Siedler in Kasachstan und Sibirien eintrafen, waren die örtlichen Behörden nicht auf diesen Ansturm vorbereitet. Es mangelte an Unterkünften und Nahrungsmitteln. Viele Familien mussten sich selbst Erdhütten bauen, um den Winter zu überleben. Für ihre Arbeit in den Kolchosen erhielten die Russlanddeutschen 400 Gramm Getreide als Tageslohn. Diese Menge konnte den Bedarf einer Familie nicht decken.

Der Unmut gegenüber der Sowjetmacht wuchs. Diese verlor schließlich alle Sympathien, als die Zwangsumgesiedelten feststellten, dass der Staat sie um ihr Hab und Gut betrogen hatte. Vor der Abreise war den Russlanddeutschen befohlen worden, das Getreide, das Vieh und den Hausrat dem sowjetischen Staat zu überschreiben. Darüber hatten einige Quittungen erhalten. Und die sowjetischen Behörden hatten ihnen versprochen, dass sie diese Quittungen in den neuen Siedlungen gegen Nahrungsmittel eintauschen könnten. Das geschah aber nur in geringem Maße. Einige Monate später wurden die Quittungen schließlich für ungültig erklärt. Der Besitz war verloren.

Die Deportierten hungerten und waren nun gänzlich verarmt. Sie lebten unfrei und wurden auf Schritt und Tritt beobachtet. Ihr Schicksal verschlimmerte sich jedoch weiter: Im Januar 1942 verpflichtete der sowjetische Staat alle wehrpflichtigen Männer und bald auch die Frauen zur Zwangsarbeit in der sogenannten Trudarmee. Familien wurden auseinandergerissen. Viele Menschen sahen ihre Angehörigen für lange Jahre oder gar nicht wieder. In den Wäldern der sibirischen Taiga bemächtigte sich der Sowjetstaat ihrer Arbeitskraft und machte sie zu Sklaven. Viele starben an Entkräftung, Krankheiten oder an Nahrungsmangel. Die politischen Führer der Sowjetunion kümmerte das nicht. Vielmehr machten sie allen Russlanddeutschen selbst nach dem Kriegsende 1945 noch deutlich, dass sie unerwünschte sowjetische 'Bürger' bleiben würden. Sie bekamen den Status auf ewig verbannter Sondersiedler.

Darstellung 5

§ Cc4

Im Sommer 1941 drang die deutsche Wehrmacht weit in die Sowjetunion ein. Wie würden die Russlanddeutschen auf der Überfall Deutschlands reagieren? Würden sie die deutschen Soldaten als Befreier empfangen oder sie als Feinde ansehen und gegen sie kämpfen?

Die Reaktionen der Russlanddeutschen sind wahrscheinlich für die deutschen und auch die sowjetischen Herrscher enttäuschend gewesen.

  • Die Soldaten der Wehrmacht wurden nicht als Befreier empfangen. Die Russlanddeutschen waren zurückhaltend, oftmals sogar ängstlich. Deutsche Berichterstatter waren darüber enttäuscht. Viele Russlanddeutsche glaubten offenbar nicht an einen Sieg der deutschen Wehrmacht gegen die Sowjetunion. Die Rote Armee hielten sie für zu stark. 
  • Zum Dienst in der SS wollten sich nur wenige Russlanddeutsche freiwillig melden. Sehr bald wurden sie daher auch zum Dienst in der deutschen Armee und in NS-Organisationen gezwungen. 
  • Viele Russlanddeutsche empfanden die von den deutschen Eroberern ausgehende, brutale Jagd auf die Juden als abstoßend. Es gab auch Russlanddeutsche, sie sich an der Judenverfolgung beteiligten. Als Handlanger der SS taten sie sich jedoch seltener als Todesschützen hervor. Es gibt Berichte darüber, dass sich Russlanddeutsche weigerten, an Erschießungen von Juden teilzunehmen. Sie gaben dann zum Beispiel an, ein schlechtes Gewissen zu haben.
  • Die aus Nazideutschland kommenden neuen Beamten stellten fest, dass die Russlanddeutschen keine 'deutsche und nationale Einstellung' hätten.

Das Verhältnis zwischen den deutschen Eroberern und den deutschen Kolonisten war insgesamt angespannt.

Darstellung

Die Sirenen dröhnen durch das Lager und hämmern sich in das Bewusstsein der Schlafenden. Es ist Zeit zum Aufstehen schreien sie lauthals durch Baracken. Ein weiterer Tag in der Gulaghölle bricht für tausende deutsche Zwangsarbeiter an. Viel zu kurz war die Nacht und viel zu kalt. Der Winter hat schon seit Wochen Einzug gehalten, er zeigt sich unerbittlich sibirisch. Ebenso unerbittlich ist auch der Alltag der Trudarmisten; Arbeit, Essen, Schlafen, Überleben. Wenn man sich umschaut, so sind alle, die sich jetzt in der Baracke regen, nicht mehr als ein Schatten ihrer selbst. Abgemagert bis auf die Knochen haben einige längst jede Hoffnung verloren ihre Familie lebend wiederzusehen. Wenige Minuten später trifft sich das versklavte Arbeitsvieh zum Frühstück, das diese Bezeichnung nicht verdient. Das Wasser und trockene Brot wird kaum den Energiehaushalt des Tages decken können. Der Magen knurrt als sie anschließend auf den Transportern verfrachtet in den Wald fahren. Alle frieren bei der Überfahrt, das Thermometer zeigt heute 40 Grad Minus. Am Ziel angekommen wird man abgeladen, die Aufgabe ist einfach und doch schwer, der Wald wird abgeholzt im Namen Stalins. Wer nicht die geforderte Tagesleistung erbringt, bekommt weniger Essen, wer sich sträubt, wird schon mal erschossen. Noch 12 Stunden dann ist die Qual vorbei, für Manchen, der heute liegen bleibt, für immer. Der Tod gilt den Mutlosen als einzige Rettung, Mutlose gibt es inzwischen genügend am 24. Dezember 1943.

Darstellung 6

Mit der Deportation löste sich nicht nur umgehend die Autonomie der Wolgadeutschen Republik auf, sondern alles was an Deutsche erinnern konnte, wurde vernichtet. Der Unterricht in deutscher Muttersprache stand nun ebenso wie die deutschen Zeitungen auch an der Wolga unter Verbot. Sämtliche Bildungsinstitutionen, wo Deutsche bisher die Mehrheit gebildet hatten, mussten ihre Türen schließen. Gleiches galt für kulturelle Einrichtungen wie u.a. das Deutsche Staatstheater, die Philharmonie mit dem Sinfonieorchester oder auch den Deutschen Staatsverlag. Letztlich wurden die deutschen Ortsnamen entfernt und durch russische ersetzt. Konsequent war Stalin in seiner Vernichtung des Deutschtums, dessen Rückkehr als ausgeschlossen galt [...].

Darstellung 6

Etwa 30.000 Insassen, darunter auch Russlanddeutsche, beherbergte das Zwangsarbeitslager Wjatlag, um die Gefangenen in der Holzbeschaffung und -verarbeitung sowie bei Bauarbeiten einzusetzen. Durch zahlreiche Todesfälle und Krankheiten schrumpfte ihre Anzahl um mehr als die Hälfte, was maßgeblich auf eine Mangelernährung, mangelnden Schlaf und Überanstrengung bei den Arbeiten zurückzuführen ist.

Da Briefe, die die Insassen nach Hause sandten, in allen Lagern zensiert wurden, verschleierten die Gefangenen ihre Not und ihren Nahrungsmangel oftmals. Sie berichteten beispielsweise, dass sie einen Freund lange Zeit nicht mehr gesehen hatten, und versahen diese „Freunde“ mit Namen wie „Fleischmann“, „Milchmann“ oder „Kartoffelmann“.

Darstellung

§ Cc4

„Hinsichtlich der nationalistischen “Weltanschauung„ waren die Prognosen der [deutschen] Einsatztruppen nicht sehr optimistisch […]. Die Vorstellungen der Ukrainedeutschen vom 'erwachten Deutschland' und seinen ideologischen Kriegszielen seien äußerst unklar. Der Mehrheit sei nicht einmal der Name des 'Führers' bekannt; politisches Bewusstsein und Beurteilungsvermögen seien bei den meisten unterentwickelt und beschränke sich auf einem dumpfen Hass gegen die Sowjets. Infolge sowjetischer Propaganda hätte sich bei ihnen festgesetzt, dass die Gestapo das gleiche sei wie der NKWD. Nur wenige dieser Ukrainedeutschen würden nach sorgfältiger Auslese, Erziehung und Schulung einmal würdig sein, als Reichsbürger anerkannt zu werden. Den Juden gegenüber verhielten sie sich 'vorwiegend indifferent', auch nach dem Einmarsch der Deutschen hätten sie keinerlei Maßnahmen gegen diese ergriffen, das sie sie als 'harmlose und ungefährliche Menschen' betrachteten.“

Aufgabe 1

  • Fasse den Inhalt der Quelle 1 zusammen.
  • Stelle dir das Leben der Menschen im ersten Jahr nach der Umsiedlung vor. Schreibe hierzu einen fiktiven Tagebucheintrag.

Darstellung

Da saß er nun in fernen Landen, der deportierte Russlanddeutsche schlecht versorgt, als Staatsfeind deklariert, unsicher welche Zukunft ihn erwartet. Doch Stalin genügte das nicht! Im Januar 1942 setzte er noch eins drauf: Alle wehrpflichtigen, deportierten Deutschen mussten in der „Arbeitskolonne“ dienen, die deutsche Trudarmee wurde geschaffen, Zwangsarbeit verordnet. Zunächst traf es die 16-55 jährigen Männer gegen Ende 1942 auch 17-45 jährigen Frauen und mit ihnen ihre Kinder. Mütter, deren Kinder über drei Jahre waren, mussten sie zu Verwandten geben, die Mehrheit kam allerdings ins Heim. Stalin begründete die Errichtung der Trudarmee mit der kriegsnotwendigen „Arbeitsmobilisierung“, doch galt diese vielmehr als Repressions- und Bestrafungsmittel für die gesamte deutsche Minderheit. Sie musste für den Krieg gegen den deutschen Feind büßen. Ohne eine richterliche Anklage waren sowjetdeutsche Bürger zur Zwangsarbeit verurteilt und bestraft worden. Als eine Mischung aus Bauarbeiter und Strafgefangenen, fristeten sie ein rechtloses Dasein in den Arbeitslagern, den „Knochenmühlen“ des Stalinismus. Hier setzte sich das deutsche Unglück fort, denn die Lagerverwaltungen der Gulags waren in den ersten beiden Jahren nicht auf solch einen„Andrang“ vorbereitet. Aufgrund der miserablen Arbeitsbedingungen und der unzureichenden Versorgung starben ca. 70.000 deutsche Trudarmisten.

Darstellung 7

Die Auflösung der Arbeitskolonnen sowie die Eingliederung der Zwangsarbeiter in die Betriebe und Bauorganisationen bedeutete 1945/1946 nicht die Wiederherstellung der Bürgerrechte.
Die Verbannten erhielten den Status eines Sondersiedlers und unterstanden fortan der Willkür der Sonderkommandanturen des NKWD. So durften sie weder die Arbeit noch den Wohnort frei wechseln. Meistens mussten die Deutschen auch weiterhin einfachste Schwerstarbeit im Kohlebergbau, in der Bauwirtschaft sowie in der Land- und Forstwirtschaft verrichten. Der Zugang zu Bildungseinrichtungen oder Reisen in den europäischen Teil der Sowjetunion wie auch selbst der Zugang zu medizinischer Betreuung unterlagen starken Beschränkungen.
Zumindest gestattete man ihnen die Zusammenführung ihrer verstreuten Familien. Gnade hatte der Sondersiedler auch zukünftig nicht zu erwarten. Das macht Stalin am 26. November 1948 deutlich, als er die Verbannung auf ewig festschrieb. Für jeden Russlanddeutschen ab einen Alter von 16 Jahren wurde jetzt eine Personalakte mit dem gesamten Lebenslauf angelegt. Er hatte sich fortan monatlich bei der Kommandantur zu melden und durfte ohne schriftliche Erlaubnis den vorgeschriebenen Wohnort nicht mehr als 5 Kilometer weit verlassen. Wer es doch tat, dem drohten 20 Jahre Straflager.

Quelle 4

Wir wurden in Brigaden zu 30 Mann eingeteilt und drei Tage lang unterwiesen, wie man Bäume fällt, sie entastet, Stämme schneidet und sie zum Fluss hinunter abtransportiert. Wir erhielten Arbeitssachen, Steppjacken und -hosen sowie warme Stiefel. Zuerst war die Arbeit für alle außerordentlich schwer. Wir mussten uns zu Beginn schon sehr anstrengen, um die Tagesnorm zu schaffen. Die meisten von uns hatten bis dahin nichts mit Holzfällen zu tun gehabt. Doch wer körperliche Arbeit gewohnt und gesund war, fuchste sich bald ein und hatte dann auch keine Schwierigkeiten mehr, die Tagesnorm zu schaffen. Anders war es für diejenigen unter uns, die aus der Verwaltungsarbeit kamen, schon älter oder kränklich waren. Sie schafften die Norm nicht. Das hatte zur Konsequenz, dass ihnen weniger Nahrung zugeteilt wurde. Sie wurden noch schwächer oder mussten auf die Krankenstation. Es gab Krankschreibungen und Arbeitsbefreiungen. Die medizinische Versorgung war schlecht, sie entsprach der allgemeinen Kriegssituation. Es gab nur wenige Medikamente. Das Hauptproblem bestand jedoch in der schlechten, schwer verdaulichen und vitaminarmen Nahrung. Wer ernsthaft krank wurde, hatte dann bei dieser Ernährung wenig Chancen, wieder zu genesen. Wir machten zwar im Lager einen „Teeaufguss“ aus Kiefernnadeln und Birkenrispen. Große Bottiche standen damit in den Unterkünften. Doch diese Art von Vitamingewinnung reichte keineswegs aus. Besonders im ersten Jahr unseres Aufenthaltes im Lager starben viele.

Quelle 5

Hinweis: Briefe von Lagerinsassen wurden von Geheimdienstmitarbeitern kontrolliert. Es sollte nicht bekannt werden, wie die Verhältnisse im Lager wirklich waren. Manche Zwangsarbeiter flüchteten sich deshalb in lustige Schilderungen. Sie versuchten mit diesem Mittel, die Wahrheit 'zwischen den Zeilen' zu verstecken.

Fleischmann habe ich seit meiner Ankunft hier noch nie getroffen. Wo er arbeitet, ist mir nicht bekannt. Grützmann ist versetzt worden. Kartoffelmann treffe ich sehr selten, er hat nie Zeit für mich. Manchmal kommt mir Krautmann entgegen, doch schon lange vermisse ich Mehlmann und Nudelmann. Milchmann und Schmandmann wurden noch bei der Verladung in den Zug von uns getrennt. Wassermann und Arbeitsmann sind die einzigen, denen ich jeden Tag begegne. Ja, fast habe ich Brotmann vergessen. Er ist krank geworden, sieht schwarz und schwerfällig aus. […] Du kannst allen sagen, dass meine einzigen Freunde hier Hungermann, Läusemann, Wanzenmann und Arbeitsmann sind.
(Ein anonymer Verfasser an seine Frau)

Quelle 5

28.643 Insassen beherbergte das Zwangsarbeitslager Wjatlag, zwei Jahre später war ihre Zahl aufgrund von zahlreichen Todesfällen und Schwerkranken auf 11.979 Menschen geschrumpft. Unter ihnen waren auch russlanddeutsche Männer und einige hundert Frauen. [...] [Das] verursachte maßgebend die minderwertige Ernährung (das Fehlen von Gemüse und Kartoffeln) und die Überanstrengung der vorhandenen Kräfte bei Verladearbeiten wegen des Defizits an Arbeitskraft […]. Infolgedessen befanden sich einzelne Verladebrigaden in den Monaten Februar bis März oft täglich 20 Stunden und länger an den Verladepunkten.

Quelle 5

Den 9. Mai 1945, den Tag des Sieges über den Faschismus, feierten wir ausgelassen. Wir hatten uns irgendwo Alkohol besorgt und waren fröhlich und ausgelassen. Wir sangen und tanzten auf der Straße. Nun, so glaubten wir, stände der Rückkehr zu unseren Familien und Verwandten nichts mehr im Wege. Doch wir hatten uns getäuscht. Die meisten von uns mussten bleiben. Wir, die Deutschen, durften nicht ohne Zustimmung den Arbeitsplatz und den Wohnort wechseln. Bis 1955 mussten wir uns bei der Polizei melden und waren Bürger zweiter Klasse.

Darstellung

Ukraine, Anfang Juli 1941. „Die deutschen Brüder kommen! Hol die Fahnen, Brot und Salz! Wir werden frei sein!“ Der junge deutsche Sohn läuft schnell ins Haus, während das deutsch-ukrainische Dorf draußen im frenetischen Jubel jegliche Fassung verliert. Alle haben den rechten Arm gestreckt als die Retter der siegreichen Wehrmacht eintreffen. Die Bolschewisten und die Nationalsozialisten besaßen beide diese Vorstellungen. Was für die einen Befürchtung war für anderen die Erwartung. Beide Seiten lagen mit ihren Annahmen falsch. Die Wehrmacht wurde keinesfalls als Befreier empfangen, sondern ihnen begegneten die Russlanddeutschen freundlich reserviert und teilweise sogar ängstlich. Die Enttäuschung darüber konnten die Berichterstatter nicht verbergen. Verantwortlich hierfür scheint die weitläufige Meinung gewesen sein, dass die deutsche Wehrmacht bald wieder abziehen würde. Viel zu mächtig sei die Rote Armee. Außerdem musste die örtlichen reichsdeutschen Beamten feststellen, dass die Russlanddeutschen zwar nicht bolschewiert seien, aber auch keine „deutsch-nationale Gesinnung“ besaßen. So beklagte die SS, dass nur wenige freiwillige Russlanddeutsche sich bei ihnen meldeten. Dabei war gerade die brutal betriebene Judensäuberung wenig werbewirksam, vielmehr sorgte sie für weitverbreiteten Unmut und Unbehagen unter den Kolonisten. Die Freiwilligen und später auch Unfreiwilligen nahmen in den regionalen Schutztruppen der SS an dieser Judensäuberung teil. Seltener traten sie als Todesschützen auf, vielmehr gibt es Berichte von Verweigerungen die Juden in die „Gruben zu schießen.“ Gewissensbisse zeugen außerdem davon, dass sie mit der„Arbeit“ der SS nicht einverstanden waren. Grundsätzlich schien das Verhältnis zwischen deutsch und deutsch angespannt zu sein. Als sich beispielsweise die Kolchosen auf Drängen der Bauern nicht beseitigt worden, schritten sie zum passiven Widerstand mit durch Faulenzen, Arbeitsunlust und dergleichen mehr auf.

In einem Staatssystem, das die klassenlosen Gesellschaft als oberstes Ziel angibt, galten die vermögenden Klassen als absolute Staatsfeinde. Der strenge Blick der Staatsmacht fiel damit auch auf die Russlanddeutschen. Denn gegenüber den Russen waren sie überdurchschnittlich vermögend und fast alle bäuerliche Landbesitzer. Doch zunächst brauchte man sie noch, sie mussten das Land aus der Hungersnot führen. Als sich die wirtschaftliche Lage und die Landwirtschaft stabilisierte hatte, ging es ihnen dann an den Kragen. Uns interessieren die Fragen warum sich eine erholende und funktionierende Wirtschaft durch Enteignungen zerstört wird? Was Josef Stalin dazu bewog und wie er sein Vorgehen rechtfertigte? Was die Russlanddeutschen dagegen unternahmen und welche Folgen die Menschen die Entprivatisierung der Landwirtschaft für den Menschen hatte? 

§ Cc4

Diagramm 1

Merkkasten 1

Die Entrechtung der Russlanddeutschen ging zügig vonstatten. Zunächst traf es die freien Bauern, die als Kulaken ins Straflager kamen und ihr Wahlrecht verloren hatten. Sie wurden zu gesellschaftlich Ausgestoßenen. Die Kirchen erfuhren zum gleichen Zeitpunkt ähnliche Vernichtung, verboten und durch die Verhaftung ihrer Geistlichkeiten beraubt. Die deutschen Intellektuellen hatten es gleich schwer, auch sie begann man Anfang der 1930er Jahre zu verfolgen.....

§ Cc4

Karikatur - Verfolgte werden mit einem unbekannten Führer abgespeist!

Nachdem in Deutschland Adolf Hitler und die Nationalsozialisten die Macht übernommen hatten, begegnete die sowjetische Staatsführung den Russlanddeutschen mit verstärktem Misstrauen und mehr Feindseligkeit. Die Russlanddeutschen wurden plötzlich wieder zum 'inneren Feind' erklärt. Mich interessiert, was mit dem Machtantritt Hitlers an den Westgrenzen der Sowjetunion passierte? Wie wurden die Deutschen Teil der großen 'Säuberung' Stalins? Und was geschah mit den Russlanddeutschen nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs?

Am 24. August 1939 wurde in Moskau der sogenannte deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt unterzeichnet. Die Russlanddeutschen schöpften Hoffnung auf die Entspannung ihrer Lage. Doch passten die Diktaturen in Deutschland und der Sowjetunion letztlich nur in ihrer Grausamkeit zusammen, politisch standen sie auf völlig unterschiedlichen Seiten.

Am 22. Juni 1941 brachen die deutschen Nationalsozialisten den Vertrag und überfielen die Sowjetunion. Bereits wenige Tage später kam es zur Besetzung von Teilen der Ukraine. Stalin erreichten ungenaue Meldungen über Verrat und Kollaboration der deutschen Bevölkerung. Er ging davon aus, dass die Wolgarepublik bald von Truppen der Wehrmacht besetzt werden würde. Aus Sicht Stalins und der sowjetischen Führung war die Zeit gekommen, ohne Rücksichtnahmen gegen die Russlanddeutschen vorzugehen. Das Feindbild der 5. Kolonne war bereits seit Jahren entwickelt worden, nun holte Stalin zum großen Schlag gegen die deutsche Minderheit aus: Alle Deutschen sollten aus dem europäischen Teil der UdSSR deportiert werden.

Mit dem Deportationserlass vom 28. August 1941 unterstellte die sowjetische Staatsführung den Wolgadeutschen, dass es unter ihnen tausende Verräter und Spione gäbe. Deswegen sollten alle Deutschstämmigen ausgesiedelt werden. Als Beweis für den angeblichen Verrat dienten Hakenkreuzfahnen, die man bei Russlanddeutschen gefunden hatte. Sie waren anlässlich eines vor dem Krieg geplanten Besuchs von Adolf Hitler in der Sowjetunion verteilt worden. Die Bestrafung für den Verrat betraf jeden, auch Kommunisten. Allein die deutsche Nationalität war entscheidend. Das deutsche Leben im gesamten europäischen Gebiet der Sowjetunion sollte ausgelöscht werden. Aus dem Wolgagebiet wurden innerhalb von drei Wochen etwa 400.000 Menschen in Eisenbahnwaggons gepfercht und nach Osten transportiert. 
Alle Deportierten erwartete eine wochenlange Reise nach Sibirien oder Kasachstan. Dort wurden tausende Männer und Frauen ins Arbeitslager gebracht. Fern von ihren Familien starben viele Deutsche an Hunger, Entkräftung und Krankheiten. Eine Rückkehr in die Heimat war nicht vorgesehen.

Aufgabe 2

  1. Beurteile den Umgang mit Verdächtigen in der Zeit der Großen Säuberung.
  2. Vergleiche die Darstellungen 3 und 4.
  3. Bewerte die Situation der Russlanddeutschen während der Säuberungen.

Aufgabe 2

Erarbeite die Quelle 5. Nutze dafür auch die Methodenseite schriftliche Quellen.

Hinweise:

  • Unklare Begriffe kannst du markieren und recherchieren.
  • Du solltest dir auch überlegen, ob dieses Geständnis ehrlich und realistisch sein kann.
  • Wie kann ein solches Geständnis entstanden sein? Stell dir dazu den Gang der Geschehnisse vor: Verhaftung des Pfarrers → Verhöre → Prozess → Verurteilung

Aufgabe 2

  1. Beschreibe das Leben in der Trudarmee in einem Schülervortrag. Nutze dafür alle Materialien dieses Unterkapitels.
  2. Beurteile das Leben der deportierten Russlanddeutschen während des Zweiten Weltkriegs.
    Nutze dabei aus der folgenden Liste diejenigen Wörter, die dir zutreffend erscheinen:
    • gerecht oder ungerecht
    • hungernd oder ausreichend versorgt
    • milde oder grausam
    • menschlich oder unmenschlich
    • notwendig für die Verteidigung der Sowjetunion oder nicht notwendig für die Verteidigung der Sowjetunion
    • ehrlich oder unehrlich

Merkkasten

Das Wort ist eine Zusammensetzung aus dem russischen Wort für Arbeit („Trud“; Труд) und Armee („Armia“; армия). Die Trudarmee war eine Form von Zwangsarbeit. Sie bestand im Zweiten Weltkrieg seit 1941 und wurde 1946 aufgelöst. Viele Russlanddeutsche wurde in die Trudarmee gezwungen.
In der Trudarmee zu sein, bedeutete für die Trudarmisten, dass sie nach militärischen Regeln leben mussten, streng bewacht wurden und keine eigene Entscheidungsfreiheit hatten. Wer in der Trudarmee war, durfte den Ort nicht verlassen, hatte keine Bürgerrechte, durfte über seine Arbeit und sein Leben nicht selbst bestimmen.
Die Arbeit musste nach einer bestimmten Norm erfüllt werden. Dafür bekamen die Arbeiter eine bestimmte Menge Brot. Wer die Arbeitsnorm nicht erfüllen konnte, bekam sofort geringere Brotrationen. Dadurch starben viele Menschen sehr schnell.