7. Methode: Zeitzeugen

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7. Methode: Zeitzeugen

Bei einem Kriminalfall befragt man vor Gericht Zeugen des Tathergangs. Kann jemand besser wissen wie sich etwas ereignet hat, als derjenige, der dabei war? Im Fernsehen werden bei historischen Dokumentationen auch sehr oft Zeitzeugen befragt.
Wenn wir also ganz genau wissen wollen, wie es in der Vergangenheit war, mĂŒssen wir einfach nur Leute befragen, die dabei waren, oder? Dass es leider nicht so einfach ist, werde ich dir in diesem Kapitel zeigen.

§ Cc4

Die Erinnerung von Menschen ist von vielen unterschiedlichen Dingen abhĂ€ngig. Erinnerungen verĂ€ndern sich im Laufe des Lebens. Menschen versuchen z.B. sehr oft, die Erlebnisse ihres Lebens so in die Geschichten, die sie ĂŒber sich erzĂ€hlen, einzufĂŒgen, dass eine erfolgreiche Lebensgeschichte entsteht. Das tun sie meistens gar nicht bewusst, sondern es passiert einfach im Laufe der Zeit.

Andere Menschen verÀndern ganz bewusst bestimmte Episoden in ihrem Leben. Je öfter sie diese 'neue' Geschichte erzÀhlen, desto 'wahrer' wird sie. Am Ende glauben sowohl ErzÀhler als auch Zuhörer diese Geschichte.

Zudem können Zeitzeugen immer nur an einem ganz kleinen Ausschnitt der Vergangenheit teilgenommen haben. So können sie eine Ausnahmesituation erlebt haben, die fĂŒr die meisten anderen Menschen nicht zutrifft. Eine kurze Zusammenfassung der 'Stolpersteine bei der Arbeit mit Zeitzeugen' findest du im Merkkasten 1. 

Merkkasten 1

  • Im Laufe der Zeit gehen Erinnerungen verloren, sie werden vergessen.
  • Zeitzeugen haben meist nur einen Ausschnitt des Geschehens an einem bestimmten Ort und in einer bestimmten Rolle erlebt. 
  • Das GedĂ€chtnis verĂ€ndert sich stĂ€ndig, um gewandelte LebensumstĂ€nde  und neue Erfahrungen in die eigene Lebensgeschichte einzubauen. 
  • Erfahrungen anderer Menschen werden mit der Zeit oftmals als eigene Erfahrungen empfunden und ausgegeben. 
  • Geschichten werden in den jeweiligen Kulturen nach bestimmten ErzĂ€hlmustern erzĂ€hlt. Die eigene erlebte Geschichte wird an solche Muster angepasst und damit verĂ€ndert. 
  • Zeitzeugen haben eigene Absichten, sie wollen oftmals der nĂ€chsten Generation 'etwas mitgeben'. Der Zeitzeuge erzĂ€hlt also seine Geschichte heute und fĂŒr Menschen, die heute leben. 
  • Zeitzeugen gelten als besonders glaubwĂŒrdig. Ihre Aussagen mĂŒssen aber genauso kritisch untersucht werden wie andere Quellen und Darstellungen.
  • Interviewer von Zeitzeugen fragen oftmals nicht kritisch nach, weil sie das als unhöflich empfinden.
  • ZeitzeugengesprĂ€che sind sowohl Quellen aus der Vergangenheit, als auch Darstellungen ĂŒber die Vergangenheit. Die Erlebnisse der Zeitzeugen sind Quellen, ihre Geschichten sind die Darstellung dieser Erlebnisse.

Methode 1

Folgende Hinweise beziehen sich auf eine Zeitzeugenbefragung, die ihr in der Gruppe vorbereitet und durchfĂŒhrt.

Planung:

  • WĂ€hlt das Thema des ZeitzeugengesprĂ€chs.
  • Sucht einen Zeitzeugen, der zu diesem Thema etwas sagen kann. Teilt ihm oder ihr mit, worum es in dem GesprĂ€ch gehen soll.
  • Legt einen Termin fĂŒr das GesprĂ€ch fest.
  • Bestimmt das Ziel des GesprĂ€chs: Was sind die inhaltlichen Schwerpunkte?
  • Erstellt einen Fragenkatalog. Geht dabei nach der Trichtermethode vor: zuerst die allgemeineren und dann die speziellen Fragen.
  • Legt Aufgaben fĂŒr des GesprĂ€chs fest: Interviewer, Protokollant, Verantwortliche fĂŒr Audio-Aufnahmen usw.
  • Bereitet die fĂŒr das GesprĂ€ch nötige AusrĂŒstung vor (zum Beispiel Papier und Stifte fĂŒr ein Protokoll, ein Audio-AufnahmegerĂ€t, KameraausrĂŒstung, ErfrischungsgetrĂ€nk).
  • Wenn vorher noch Zeit bleibt: Probt das Interview mit allen Beteiligten fĂŒr die festgelegten Aufgaben.

GesprÀch: 

  • Fragt nach Informationen ĂŒber die interviewte Person: Name, Herkunftsort, Beruf, ...
  • Achtung Trichter:
    1. Stellt dann allgemeinere Fragen zur Zeit des Geschehens:
    - In welchem Land war das?
    - Zu welcher Zeit ist das passiert?
    - Wie war die Stimmung der Leute damals?
    2. NĂ€hert euch mit den Fragen dem zentralen Thema immer konkreter an.
    - Fragt nach GrĂŒnden fĂŒr ein Geschehen.
    - Fragt nach den persönlichen Ansichten und Haltungen des GesprÀchspartners.
    - Stellt keine Fragen, die etwas vermuten oder dem Befragten die Antwort schon vorgeben ("Denken Sie nicht auch, dass ...").

Hinweise zum GesprÀchsverlauf:

  • Seid aufmerksam und konzentriert euch auf den GesprĂ€chspartner.
  • Der vorbereitete Fragenkatalog muss nicht stur Frage fĂŒr Frage abgearbeitet werden. Ihr könnt auch andere Fragen stellen, wenn es im Laufe des GesprĂ€chs interessante Aspekte gibt. Behaltet aber das Ziel im Blick!
  • Fragt nach, wenn Ihr etwas nicht verstanden habt oder etwas unklar geblieben ist.
  • Lasst den GesprĂ€chspartner aussprechen.
  • Lasst zwischen den Fragen auch ein wenig Zeit. GesprĂ€chspartner sollen sich nicht gehetzt fĂŒhlen.
  • Ihr könnt auch Pausen machen, wenn GesprĂ€chspartrner sehr angestrengt sind oder ihr vom Thema abkommt. Nach einer Pause könnt ihr dann erfrischt neu ansetzen.

Darstellung 1

Wer wirklich begreifen will, was geschehen ist, der darf sich nicht den Erinnerungen hingeben. Die menschliche Erinnerung ist ein viel zu wohliger Vorgang, um das Vergangene nur festzuhalten; sie ist das Gegenteil von dem, was sie zu sein vorgibt. Denn die Erinnerung kann mehr, viel mehr: Sie vollbringt beharrlich das Wunder, einen Frieden mit der Vergangenheit zu schließen, in dem sich jeder Groll verflĂŒchtigt und der weiche Schleier der Nostalgie ĂŒber alles legt, was mal scharf und schneidend empfunden wurde. GlĂŒckliche Menschen haben ein schlechtes GedĂ€chtnis und reiche Erinnerungen.

Groll: Zorn, der lange anhÀlt
Nostalgie: positive Hinwendung zur Vergangenheit ('Ach, frĂŒher war alles besser.')