8.1 Anders deutsch: Russlanddeutsche Erfahrungen und Identitäten
Wie gestalten wir in Zukunft das deutsch-russische Verhältnis? Besteht die Chance auf einen Kontinent der offenen Nationen? Mehr dazu im digitalen Schulbuch mBook.
Erinnere dich an das erste Kapitel. Menschen wandern und sie leben in Gruppen. Das hat viele Vorteile: gemeinsam ist man stärker, kann sich helfen und sich verteidigen, kann Herausforderungen leichter bewältigen. Ich frage mich, wodurch das Zusammentreffen und -leben größerer Gruppen bestimmt wird? Deutsche und Russen sind solche Gruppen, sogar sehr große Gruppen, die man Völker nennt. Was hat die Beziehungen dieser Gruppen in Laufe der Geschichte ausgemacht. Wo lagen Gemeinsamkeiten und Konflikte? Und was können wir daraus für die Zukunft lernen?
Menschengruppen als 'Völker', 'Nationen', 'Klassen', 'Mannschaften', 'Vereine' ... - Was soll das?
Menschen leben nicht allein. Sie schaffen sich Gemeinschaften, zu denen sie gehören wollen. Das Oftmals werden Menschen aber auch gezwungen, einer bestimmten Gruppen anzugehören und sich zu ihr zu bekennen, oder sie werden zwangsweise aus bestimmten Gruppen entfernt. In Diktaturen ist dies immer wieder der Fall. Alleinherrscher, denen jedes Mittel recht ist, um ihre Macht zu sichern, schaffen Parteien oder andere Gruppen, zu denen Menschen nur zugelassen werden, wenn sie sich beispielsweise zu Ideologie der herrschenden bekannt haben, wenn sie einer bestimmten Ethnie, Religion oder sozialen Schicht angehören. (Bei kommunistischen Diktaturen war es etwa die Zugehörigkeit zur sogenannten "Arbeiterklasse", die Menschen einen Vorteil verschaffte. Im Nationalsozialismus wurden die "Juden"
Das führt zum angenehmen Gefühl, irgendwo 'dazuzugehören'.
Oft werden die Russlanddeutschen von der einheimischen deutschen Bevölkerung gesehen wie andere Einwanderer, die nach Deutschland kommen. Ich frage mich, was die Russlanddeutschen von anderen Einwanderern unterscheidet? Was bedeuten die Erfahrungen, die sie in der Vergangenheit gemacht haben, für die deutsche Gesellschaft, für Russland und für Europa?
1. Russlanddeutsche – Menschen mit besonderen Erfahrungen
Was ist die Besonderheit der Russlanddeutschen? Sie haben Erfahrungen mit unterschiedlichen Kulturen gesammelt, weil sie ihre Heimat verlassen haben oder ihre Lebensorte unter Zwang wechseln mussten. Ursprünglich hatten sie sich auf den Weg gemacht, weil sie ein besseres Leben suchten. Sie nahmen im 18. Jahrhundert ihre Sprache, ihre Gewohnheiten, ihre Eigenschaften und Werte nach Russland mit.
Schon seit dem späten 19. Jahrhundert wurden die Russlanddeutschen immer öfter angefeindet, weil sie eben keine Russen waren und deshalb verdächtig erschienen. Ihre Kultur haben sie daher immer öfter verstecken müssen. Sie wurde wie in eine Kapsel eingeschlossen. Und der Kern dieser Kapsel war der Umgang von Eltern mit ihren Kindern: Die Mütter gaben z. B. ihre Sprache an die Kinder weiter, wenn sie deutsche Lieder sangen oder etwas vorlasen. Das blieb auch in den ganzen harten Zeiten der Verfolgung und Deportation so.
Seit den späten 1980er Jahren kamen viele Russlanddeutsche in das Land ihrer Ahnen zurück. Dieses Land aber hat sich grundlegend gewandelt: Im Deutschland von heute lernt niemand mehr Deutsch mit der Bibel Martin Luthers. Das Deutschland von heute ist weltoffen, kulturell gemischt und garantiert allen Religionen ihre Freiheit. Die deutschen Rückkehrer aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion mussten sich also erneut mit neuen Lebensgewohnheiten der Menschen ihrer Umgebung auseinandersetzen, sich auch anpassen und in ein neues Leben finden.
Darstellung 1
Quelle 1
Die Vertragsparteien fördern die Herstellung von Kontakten, gegenseitige Besuche und Erfahrungsaustausche zwischen
Jugendorganisationen aus gesellschaftlichen, politischen, kulturellen, sportlichen, beruflichen und anderen Bereichen;
Jugendlichen in Ausbildung und Beruf, darunter zwischen jungen Arbeiterinnen und Arbeitern, Angestellten und Fachkräften aus allen wirtschaftlichen und sozialen Bereichen;
Schulen und anderen Einrichtungen der allgemeinen und beruflichen Bildung;
jungen Menschen, die eine freiwillige Tätigkeit im Rahmen ihres zivilgesellschaftlichen Engagements leisten;
jungen Menschen mit Behinderungen sowie Fachkräften der Behindertenarbeit;
Vertreterinnen und Vertreter von Jugendorganisationen sowie Fachkräften der Jugendhilfe;
jungen Politikerinnen und Politikern und jungen Vertreterinnen und Vertretern staatlicher und kommunaler Behörden, einschließlich aus Partnerstädten.“
Helene Fischer stammt aus einer russlanddeutschen Familie. Ihre Großeltern lebten ursprünglich an der Wolga und wurden 1941 nach Sibirien deportiert. Dort, in Krasnojarsk, wurde Helene Fischer am 5. August 1984 geboren. Ihr Vater, Peter Fischer, arbeitete als Sportlehrer, ihre Mutter, Maria Fischer, war Ingenieurin. Im Jahr 1988 siedelte Helene Fischer mit ihrer Familie nach Deutschland über. Sie ist heute die erfolgreichste Künstlerin der Unterhaltungsmusik in Deutschland. In diesem Interview erzählt sie kurz ihre Geschichte.
Quelle 2
Im Jahr 2013 und 2014 gab es in Kiew, der Hauptstadt der Ukraine, große Demonstrationen gegen die Regierung unter dem Präsidenten Viktor Janukowitsch. Seine Regierung war bestechlich und hatte die schon lange bestehende politische und wirtschaftliche Krise des Landes weiter verschärft. Auf dem Maidan Nesaleschnosti (Майдан Незалежності; Platz der Unabhängigkeit), dem zentralen Platz Kiews, forderten die Protestierenden daher politische Reformen, eine Hinwendung der Ukraine zur Europäischen Union, eine wirkliche Demokratisierung des Landes und ein Ende der Korruption. Unter den Protestierenden waren auch viele ukrainische Nationalisten, die z.B. gegen den Einfluss Russlands in der Ukraine demonstrierten. Im Januar und Februar 2014 schließlich stürzte die ukrainische Regierung. Der Präsident floh nach Russland. Sein politisches System brach zusammen. Es kam zu einer Revolution, bei der neue Aktivisten die Macht übernahmen.
Die Ukraine ist jedoch politisch gespalten in einen westlichen und einen östlichen Teil. Viele Menschen des westlichen Teils wollen eine enge Anlehnung an die Demokratien Mitteleuropas, viele Menschen im Osten hingegen sind von der russischen Kultur geprägt. Sie wollen daher eher eine Partnerschaft mit Russland oder sogar zum russischen Staat gehören.
Quelle 2
Die überwiegende Mehrheit der Deutschen aus Russland in Nordrhein-Westfalen sind gesetzestreue Mitbürgerinnen und Mitbürger, gut integriert und schätzen es sehr, dass wir in einem freiheitlichen, demokratischen Rechtstaat leben. Wir lehnen jeglichen Verstoß gegen die Werte unseres Grundgesetzes und andere Rechtsvorschriften ab. Wir treten deshalb entschieden jeglicher Form von Hetze, Hass und Gewalt gegen Ausländer einschließlich der "neuen" Flüchtlinge entgegen. Dies schließt im Besonderen die Ablehnung der unsäglichen Propaganda über russische Medien, das Internet und soziale Netzwerke ein. Wir verurteilen jegliche Form der Zusammenarbeit mit rechtsradikalen Kräften. [...]
Es fehlt uns an Anerkennung für unseren Beitrag zur politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung unseres Landes. Die Gesellschaft möge anerkennen, dass wir fleißige, anständige und hilfsbereite Mitbürgerinnen und -bürger sind, die sich auch bei der Integration der "neuen Flüchtlinge" engagieren. Es ist notwendig, dass nicht nur wir auf andere zugehen, sondern, dass auch auf uns zugegangen wird.
2. Das Auf und Ab der deutsch-russischen Beziehungen
Du hast in den letzten Kapiteln gesehen, dass Deutsche und Russen sich schon seit Jahrhunderten austauschen. Dies geschah nicht immer nur friedlich. Im letzten Jahrhundert haben sie sich in zwei Weltkriegen als erbitterte Feinde gegenübergestanden. Diese Kriegserlebnisse haben beide Seiten stark geprägt. Diese Prägung reicht bis in die Gegenwart.
Am Zweiten Weltkrieg wurde von Deutschland begonnen. Der Raub- und Vernichtungskrieg der deutschen Nationalsozialisten hat in der Sowjetunion Millionen Opfer und große Zerstörungen verursacht. Darunter haben viele Völker auf dem Gebiet der Sowjetunion gelitten. Russen, Weißrussen, Ukrainer und auch die Russlanddeutschen. Deutschland wurde besiegt. Im Jahr 1945 war es schwach. Die Siegermächte unter Führung von Sowjetunion und USA trennten die Ostgebiete von Deutschland ab und teilten die verbleibenden Gebiete. Fortan gehörte der Osten Deutschlands in den Machtbereich der Sowjetunion, der Westen hingegen in den Machtbereich der USA. Im Osten herrschte politische Diktatur, im Westen eine freiheitliche Demokratie. Im Zusammenbruch des Ostblocks fiel auch die Sowjetunion auseinander. Russland und andere Nachfolgestaaten näherten sich jetzt den Ländern des Westens an. Vielfältige Beziehungen entstanden – in der Wirtschaft, in der Politik, in Kultur und Bildung.
Doch nach 2010 wurde die politische Lage wieder schwieriger. Russlands Regierung betrieb zunehmend wieder eine Großmachtpolitik, NATO und EU hatten sich nach Osteuropa ausgedehnt. Um die Ukraine wurde zwischen der Europäischen Union und Russland gerungen. Es folgte die Abspaltung der Krim von der Ukraine und deren Anschluss an Russland. Außerdem begann ein blutiger Kampf um große Teile der Ostukraine zwischen russisch unterstützten Aufständischen und der ukrainischen Armee. Westliche Staaten verhängten gegen Russland wegen dieser aggressiven Politik Sanktionen.
2. Was ist russlanddeutsche Identität heute in Deutschland?
Wenn du denkst, diese Frage ließe sich leicht und eindeutig beantworten, haben wir als Autoren in Kapitel 3 etwas falsch gemacht. Aber auch wenn man auf diese Frage nicht die eine Antwort finden kann, lohnt es sich doch, einmal darüber nachzudenken. Ich werde in ein paar Vorschläge machen, woraus sich russlanddeutsche Identität heute zusammensetzen könnte.
hier Grafik: Konjunktur der deutsch-russischen Beziehungen
Beschreibe ein Beispiel für eine Gruppe von Menschen, der du angehörst. Welche Vorteile hat es, dieser Gruppe anzugehören? Welche Nachteile hat es, dieser Gruppe anzugehören?
Äußere Deine Meinung zur deutschen Nation.
Quelle 3
Quelle 3
Thomas Gottschalk: Ich bin durch und durch typisch deutsch. Auch wenn ich teilweise in Kalifornien lebe, würde ich mich nie zu einem Weltbürger hochstilisieren. Im Gegenteil. Ich halte die deutschen Tugenden, so es sie noch gibt, für wertvoll. Die besten Deutschen sind allerdings die, die länger im Ausland gelebt haben und sich dort den preußischen Drill und protestantischen Ernst etwas abgeschliffen haben. Ich kenne einen alten Maler und Anstreicher, der heißt Horst und ist Berliner, 81 Jahre alt und arbeitet immer noch. Als Lehrling hat er die Ziffern der Turmuhr auf dem Schöneberger Rathaus vergoldet. Davon schwärmt er heute noch. Man spürt den deutschen Handwerkerstolz, der ist ihm wichtig, der bleibt. Rüdiger Grube: Ich lebe nach Werten. Ein Grundsatz, den wir uns immer wieder zu Herzen nehmen sollten, ist mir dabei besonders wichtig: 'Behandle andere, wie du selbst behandelt werden willst.' Nur so schafft man es auch, auf dem Teppich zu bleiben.
Aufgabe 2
Untersuche die Bilder der 'Galerie: Russland und Europa in drei Bildern'. Beschreibe die Gemeinsamkeiten der Bilder und entwickle daraus eine Geschichte mit dem Titel 'Russland und Europa'.
Aufgabe 2
Ordne zu: Welche der im Text genannten Aspekte treffen auf alle Migrantengruppen zu, welche sind speziell russlanddeutsch? Begründe deine Entscheidungen.
Finde Beispiele für die Altersabhängigkeit der oben genannten Identitätsaspekte. Warum sind manche Merkmale für einen 80-jährigen Russlanddeutschen wichtiger und andere für einen 16-jährigen?
Sucht gemeinsam nach weiteren möglichen Identitätsaspekten, die spezielle russlanddeutsch sind.
3. Alte Muster oder neue Wege – Deutschland und Russland nach 1990
Im Jahr 1990 wurden Ost- und Westdeutschland vereinigt. Damit entstand in der Mitte Europas ein vor allem wirtschaftlich starkes Land. In den folgenden 25 Jahren haben sich die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland stark entwickelt. In der Wirtschaft, bei der Kultur, im Sport oder auch im Bildungs- und Wissenschaftsbereich bestehen enge Beziehungen zwischen Unternehmen, Universitäten, Schulen oder Museen aus Deutschland und Russland.
3. Die Sache mit dem Deutsch-sein
Die Russlanddeutschen kommen nach Deutschland und alles ist anders als sie gedacht haben. Die Kultur und Gesellschaft sind verwirrend vielfältig. Altes deutsches Brauchtum - Trachten, Lieder, Tänze - wird von vielen Deutschen belächelt oder gar als antiquiert und nationalistisch abgelehnt. Es gibt Menschen die türkische und vietnamesische Namen haben und dennoch behaupten, deutsch zu sein und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Das soll Deutschland, die Heimat der Vorfahren sein?
Die Russlanddeutschen kommen nach Deutschland und die deutsche Gesellschaft ist verwirrt. Da kommen Menschen mit einen seltsamen Dialekt, die untereinander oft russisch sprechen, aber beleidigt reagieren, wenn man sie Russen nennt. Menschen, die darauf bestehen, anders als die anderen Migranten zu sein, weil sie ja deutsch sind. Die sich aber ähnlich verhalten wie die anderen Migranten: Sie bleiben gern unter ihresgleichen, haben ihre eigenen Läden, ihr eigenes Essen, ihr eigenes Fernsehen. Wenn die wirklich deutsch sind, warum sind die dann so anders?
Die Lösung dieses Problems liegt vielleicht darin, anzuerkennen, dass es viele Arten und Möglichkeiten gibt, deutsch zu sein. Oder, wie es Dr. Katharina Neufeld im Interview unten ausdrückt: "Wir sind anders, das ist aber nicht schlimm."
Die Erfahrung, anders als die Mitschüler, Kollegen oder Freunde zu sein, wird von Russlanddeutschen häufig gemacht. Das Mittagessen zu Hause, der Dialekt der Eltern, das Fernsehprogramm im Wohnzimmer - all das können Merkmale sein, durch die man sich von den anderen Deutschen unterscheidet. Im besten Fall kann dieser Unterschied aber auch positiv gedeutet werden: man ist etwas Besonderes. Man spricht vielleicht eine Sprache, die in Deutschland nur wenige beherrschen, man hat Erfahrungen gemacht, die andere nicht gemacht haben.
Russlanddeutsche sind ein lebendiges Beispiel dafür, wie Länder von Migration profitieren können: Vor 250 Jahren haben sie durch Arbeit, Zähigkeit und Innovationsbereitschaft mitgeholfen, Russland zu modernisieren. Jetzt sind sie als Spätaussiedler in Deutschland erneut überdurchschnittlich fleißig, ehrgeizig und zielstrebig. Die Russlanddeutschen erreichen oft hohe Bildungsabschlüsse, sind selten arbeitslos und schaffen als selbstständige Unternehmer Arbeitsplätze. Sie helfen sich gegenseitig bevor sie den Staat um Hilfe bitten.
Das klingt banal, ist es aber nicht. Für Deutsche ohne Migrationshintergrund ist das Deutschsein oft etwas nebensächliches, eher ein Randaspekt der eigenen Identität. Russlanddeutsche haben zum Deutschsein einen anderen Bezug. Über lange Zeit wurden sie (oder ihre Eltern und Großeltern) für ihr Deutschsein diskriminiert, verfolgt und manchmal getötet. Und seit ihrer Ankunft in Deutschland müssen sie darum kämpfen, als Deutsche anerkannt zu werden. Nicht als deutsche Staatsbürger - das sind sie. Aber dafür, von ihren Mitmenschen nicht länger als 'Russen', sondern als Deutsche wahrgenommen zu werden.
4
Hier bitte das Neufeld-Video MVI_1126, geschnitten auf 01:27 – 03:28 einfügen.
Darstellung 3
Bleibehilfen sind Maßnahmen, die von deutschen Bundesregierungen nach 1990 entwickelt wurden, um Angehörigen der deutschen Minderheit oder Deutschstämmigen in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, vor allem in Russland, sowie in Polen, aber auch in anderen postkommunistischen Staaten zu helfen und sie zu einem Verbleib in ihrer Wohnregion zu motivieren. Angehörige der deutschen Minderheiten in diesen Ländern hatten und haben das Recht, als Aussiedler bzw. Spätaussiedler nach Deutschland einzuwandern.
Bleibehilfen bestehen aus:
Gemeinschaftsfördernden Maßnahmen: Begegnungsstättenförderung, außerschulischem Sprachunterricht (in Russland und Kasachstan), Förderung der Selbstorganisationen der deutschen Minderheit zusammen mit kulturellen und bildungspolitischen Hilfen des Auswärtigen Amtes.
Wirtschaftsprojekten: investiven Großprojekten, kleineren Wirtschaftshilfen in Form von Existenzgründungsdarlehen für Kleingewerbe und Handwerk, Darlehen zur Wohnraum- und Arbeitsplatzbeschaffung in Russland, Landwirtschaftshilfen sowie Qualifizierungsmaßnahmen für Angehörige der deutschen Minderheit.
Hilfen im medizinischen Bereich.
Hilfen im Sozialbereich.
Wirksamkeitskontrollen.
Darstellung 3
Angela Merkel (deutsche Bundeskanzlerin): [Die deutsch-russische Zusammenarbeit] hat durch die verbrecherische und völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die militärische Auseinandersetzung in der Ostukraine einen schweren Rückschlag erlitten.
Matthias Platzeck (Vorsitzender des deutsch-russischen Forums e.V.): Die Annexion der Krim muss nachträglich völkerrechtlich geregelt werden, so dass sie für alle hinnehmbar ist. [...] Es ist momentan kaum vorstellbar, dass Donezk und Luhansk nach allem, was passiert ist, einfach wieder in den ukrainischen Staatsverband zurückkehren. [...] Der Klügere gibt auch mal nach.
Vasyl Khymynets (Botschafter der Ukraine in Deutschland): Es macht uns Sorge, dass Herr Platzeck in Deutschland dafür wirbt, die Annexion der Krim anzuerkennen. [...] Er sollte lieber seinen Gesprächspartnern in Moskau deutlich machen, dass eine Verletzung des Völkerrechts nicht hingenommen werden kann. [...] Alle, die versuchen, das Vorgehen Russlands in der Ukraine zu rechtfertigen, tragen aus unserer Sicht eine Mitschuld an diesem Vorgehen.
Darstellung 3
"Die Annexion der Krim muss nachträglich völkerrechtlich geregelt werden, so dass sie für alle hinnehmbar ist. [...] Es ist momentan kaum vorstellbar, dass Donezk und Luhansk nach allem, was passiert ist, einfach wieder in den ukrainischen Staatsverband zurückkehren. [...] Der Klügere gibt auch mal nach.“
Quelle 4 - Einfügen: Prager Rede, 10.4.87 (Siehe: M. Gorbatschow, „Perestroika. Die zweite russische Revolution“)
Quelle 4
Einfügen: Prager Rede, 10.4.87 (Siehe: M. Gorbatschow, „Perestroika. Die zweite russische Revolution“)
Interpretation Gorbatschows: Das gemeinsame Haus ist ein durch Einsicht in die Notwendigkeit der Vernunft begründeter, für alle Europäer geltender, politischer kategorischer Imperativ.
Darstellung 4
Mehr als die Hälfte (57,3%) aller befragten Aussiedlerjugendlichen gaben auf die Frage, wer ihrer Beurteilung nach Deutscher sei, unter anderem die Antwort, deutsch sei, wer deutsche Vorfahren habe. [...] Die Herkunft aus einer Familie mit deutschen Vorfahren hat für die ausgesiedelten Jugendlichen in Deutschland einen hohen Stellenwert, vor allem für die Gruppe, deren Eltern beide deutsch sind [...]. Dies kann damit zusammenhängen, daß für viele jugendliche Aussiedler die deutschen Vorfahren zur Legitimation werden, um ihren Aufenthalt in Deutschland zu rechtfertigen, vor sich selbst und ihrer Umwelt – eine Legitimation, die ihnen auch von staatlicher Seite vorgegeben wird. Gleichzeitig wenden sie das ethnisch definierte Identifikationsmuster, das sie selbst erfahren, auf andere Gruppen an. Es kann als Abgrenzung gegen Immigranten ohne deutsche Vorfahren, z.B. türkische Jugendliche, greifen und ist somit auch eine soziale Ausgrenzungsstrategie, die die Jugendlichen bereits aus eigener Erfahrung aus Kasachstan, Mittelasien und manchmal auch Rußland kennen. [...]
Nach dem Befragungsergebnissen favorisiert die Mehrheit der Interviewten einheimischen Jugendlichen ein republikanisches Konzept, d.h. für sie ist deutsch, wer die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt (41,1%) oder wer in Deutschland aufgewachsen ist (41,1%). Nur 18,6% der Befragten nannten deutsche Vorfahren als ein Kriterium zur Beurteilung deutscher Zugehörigkeit, wobei fast alle Befragten dieser Einschätzung zusätzlich ein kulturelles oder staatsbürgerliches Merkmal hinzufügten. Das angeführte Merkmal 'in Deutschland aufgewachsen sein' kann als Ausschlusskriterium gegen Aussiedler gewendet werden, da diese ja in Kasachstan oder in Rußland geboren sind, schließt aber in Deutschland geborene ausländische (z.B. türkische oder italienische) Jugendliche ein.
Darstellung 4
Hier von russlanddeutschen Rückkehrern nach Russland berichtet. Dabei werden einzelne Personen und ihre Beweggründe dargestellt.
Marina Wilms hat erst vor kurzem über ihre Zukunft entschieden. Seit zwei Jahren lebt sie wieder [...] in einem sibirischen Dorf. [...] Ihr Dorf Protassowo liegt in der [Umgebung] von Halbstadt, dem Zentrum des Deutschen Nationalrajons im Altai [...]. Die Lebenswege der russlanddeutschen Heimkehrer ähneln sich, gespeist aus ihrer kollektiven Geschichte: Weltkrieg und Vertreibung nach Sibirien, die Aussiedler-Welle nach der Wiedervereinigung, das Pulsieren zwischen zwei grundverschiedenen Ländern.
Zuvor hatte Marina 21 Jahre in Gütersloh gelebt. Nun übersetzt sie beim Forum in Omsk für Gäste aus Deutschland. Auch die 36-Jährige spricht von "Herzgefühl, Heimat und der Mentalität der Leute", wenn sie nach den Gründen für ihre späte Rückkehr gefragt wird. Die Entscheidung sei gemeinsam gefällt worden. Und das auf gut Glück - jetzt müssen sie sich und ihren Kindern ein neues Leben aufbauen. [...]
Marina ist nicht enttäuscht von Deutschland: "Ich bereue es nicht, 20 Jahre meines Lebens dort verbracht zu haben. Aber die Heimat hat gerufen." Wie [andere Russlanddeutsche] hatte Marina es schwer, eine Arbeit zu finden. Erst seit September dieses Jahres hat sie eine Stelle in der Dorfverwaltung, leitet nebenbei den deutschen Kulturverein im Nachbardorf. Ein besseres Leben hätten ihre Eltern einst in Deutschland gesucht. Marina glaubt jetzt, dass sie es in Sibirien gefunden hat.
Aus allen Kriegen und Streitigkeiten des 20. Jahrhunderts lassen sich mehrere Lehren ziehen. Auf dem europäischen Kontinent leben Völker mit unterschiedlichen Lebensweisen, Kulturen und Religionen auf recht engem Raum zusammen. Sie haben also auch jeweils eigene Traditionen, Sprachen und Geschichten. Das macht Europa bunt und immer wieder anders. In Irland leben Menschen anders als in Bulgarien, Deutsche unterscheiden sich von Russen usw.
Aber statt über diese Unterschiede zu streiten, sollten wir sie als Bereicherung annehmen und nutzen.
Aufgabe 3
Recherchiere im Internet, wie es zur Annexion der Krim kam.
Notiere die russische und die ukrainische Darstellung dieser Annexion.
Erarbeite dir eine eigene Position zu diesem Geschehen auf der Grundlage des Völkerrechts. Recherchiere dafür unter den Stichworten 'Annexion' und 'Völkerrecht' in einem Lexikon.
Setze dich mit den Ansichten Matthias Platzecks und Vasyl Khymynets kritisch auseinander.
Entwickle Möglichkeiten für die Lösung des Konflikts. Ziehe dafür die Regelungen des Minsker Abkommens heran (Siehe dazu hier und hier.)
Aufgabe 3
Überlege dir, was für dich heute 'typisch deutsch' ist. Trage deine Merkmale in einer Spalte einer Tabelle ein.
Befrage deine Eltern danach, was für sie 'typisch deutsch' ist. Notiere deren Antworten in einer weiteren Spalte.
Vergleiche die Angaben in den beiden Spalten. Stelle dazu Gemeinsamkeiten und Unterschiede fest.
Diagramm: Deutsche Exporte nach Russland (2001-2015)
Darstellung 5
Nelly Wacker (1919-2006): Zwei Muttersprachen
Als seltnen Reichtum hat das Leben zwei Muttersprachen mir gegeben: Bei Mutter ich die eine fand, die andre spricht mein Vaterland
Ich trank der beiden Sprachen Ton in meiner frühsten Kindheit schon wie Muttermilch, um dann zu bauen aus ihren Klängen das Vertrauen zum Leben. Meiner Mutter Liebe ist in dem Klange mir verblieben... Und beider Wort, vom Lied umschlungen, ist oft mir tief in Herz gedrungen... Wie hat das Märchen Poesie und trauter Verse Melodie mich oftmals himmelhoch geschwungen!
Durch dunkle Jahre lang und bang behüte ich ihren Klang... Sie waren beide immer wieder für mich Begleiter, Freund, Behüter...
Johann Warkentin (1920-2012): Verkehrte Welt
Für alles, alles fand sich Zeit! Den Führerschein noch irgendwie zu machen, ein Haus zu kaufen oder zu verschachern; Belege mussten her? - Kein Weg zu weit!
Ja, Zeit für alles - nur nicht für die Sprache! Das schaffe ich mit links, die Kleinigkeit Erledige ich drüben, später, nachher: "M´r sein jo Deitsche!" ... und jetzt kommt das Leid.
Und kommt auch die moralische Entrüstung: Was hier im Ausweis steht will keiner wissen – Sie wollen Deutsch von mir, nicht Russisch hören!
Dort war mein gutes Russisch für die Katz – Die Pass-Inschrift war aller Dinge Maß. Wie soll man sich da, sag mir, nicht empören.
Darstellung 5
Grundeinsichten für einen Europäer der Gegenwart:
Europa hat eine lange gemeinsame Geschichte.
Wanderungsbewegungen von Menschen hat es in der Vergangenheit gegeben und wird es auch in Zukunft geben.
Die eigene Kultur und Sprache zu pflegen ist wichtig.
Kulturelle Vielfalt ist eine Bereicherung und eine Chance.
Die Überbewertung streng abgrenzender und vereinheitlichender Vorstellung von Staat und Nation im 19. Jahrhundert hat Europa mit in die Katastrophen des 20. Jahrhunderts geführt.
Im 21. Jahrhundert gibt es auf der Welt große Machtblöcke und sehr mächtige Staaten: die USA, China, die Europäische Union etc. Diese konkurrieren weltweit um Einfluss und wirtschaftliche Vorteile. Gegen diese Mächte können einzelne Nationalstaaten in Europa nur unterliegen.
Grundregeln für einen Europäer der Gegenwart:
Um ihre Vielfalt nutzen zu können, sollten sich die europäischen Völker auch politisch und wirtschaftlich immer mehr zusammenschließen. Das ist keine Behinderung der eigenen (nationalen oder regionalen) Kultur, Religion und Sprache.
Die Europäische Union und ihre Nachbarn müssen friedliche und vertrauensvolle Beziehungen zueinander entwickeln. Das gilt für Russland, die Türkei, Palästina und Israel, die nordafrikanischen Staaten usw.
Aufgabe 4
Suche nach Gründen dafür, dass russlanddeutsche Spätaussiedler entweder Deutschland oder Russland/Kasachstan etc. als Heimat ansehen. Beziehe dabei das Kapitel Kapitel 3.3 ein.
Erstelle eine Tabelle mit zwei Spalten. Die eine Spalte erhält die Überschrift: 'deutsche Heimat', die andere Spalte: 'russische/kasachische Heimat'. Trage die Gründe in die Tabelle ein.
Diskutiert in der Gruppe folgende Fragen:
Hört ein Russlanddeutscher irgendwann auf, ein Russlanddeutscher zu sein?
Ist man irgendwann nur noch russisch oder nur noch deutsch? Diskutiert in Kleingruppen und vergleicht eure Ergebnisse.
Nach der Ankunft in Deutschland standen nicht wenige Russlanddeutsche vor großen Schwierigkeiten. Neben den Problemen des Neuanfangs erlebten viele Spätaussiedler auch Einsamkeit und Isolation. Andere merkten, dass ihnen die kasachischen oder russischen Herkunftsgebiete mehr ans Herz gewachsen war, als sie gedacht hatten.
Auf einmal erschien daher manchen Spätaussiedlern das frühere Leben gar nicht so schlecht, mitunter sogar einfacher und gemeinschaftlicher. Mit dem Ersparten aus Deutschland konnte man in Russland oder anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion vielleicht sogar ein kleines Haus bauen oder einen Betrieb gründen – so ihre Hoffnung.
Manche Russlanddeutschen entscheiden sich, nach Russland oder Kasachstan zurückzukehren. Wie viele Menschen das tun, ist nicht genau zu sagen. Es handelt sich in jedem Fall um eine kleine Gruppe. Fest steht aber, dass seit einiger Zeit in den russischen und kasachischen Herkunftsgebieten der Spätaussiedler wieder russlanddeutsche Rückkehrer eintreffen. Und sie wollen bleiben.
4. Nach dem Ende des Kalten Krieges und der russlanddeutschen Geschichte in Russland: Welchem Muster folgen wir?
Nach 1990 haben sich die politischen Verhältnisse in Europa grundlegend gewandelt. Viele Menschen aus den Staaten des ehemaligen Ostblocks sind nach Westeuropa gekommen, um hier zu arbeiten, zu studieren, eine bessere Zukunft zu finden. Viele östliche Staaten Europas sind der Europäischen Union beigetreten. Dahinter war auch die Absicht, in der Zukunft Kriege in Europa unmöglich zu machen. Konflikte gibt es trotzdem immer wieder. In vielen Staaten setzt sich erneut ein egoistisches und nationalistisches Denken durch. Welche Zukunft wollen wir in Europa gestalten? Und welche Rolle soll Russland dabei haben? Und wie soll das Zusammenleben in Deutschland zukünftig aussehen?
Quelle 5
Unter den Suchbegriffen 'Wladimir Putin im deutschen Bundestag' findest du auf YouTube eine Rede des russischen Präsidenten über die deutsch-russische Geschichte und den Aufbau eines gemeinsamen europäischen Hauses aus dem Jahr 2001.
Quelle 5
"Die Bedingungen des 21. Jahrhunderts verlangen nicht nach Mauern und Grenzen [...], nicht nach Häusern der Geborgenheit, sondern nach Plätzen der Begegnung." (C. Bertram in Moskau News 9/88 zitiert nach: http://www.wissenschaft-und-frieden.de/seite.php?artikelID=0826 [29.5.2016])
"Was für ein gemeinsames Haus? Aus vorgefertigten Elementen zusammen-gebastelt, zwanzig Stockwerke hoch, uniformiert, oder ein holländisches Landhaus, bequem, weltoffen, mit großen Fenstern auf die Straße, ohne Vorhänge, mit einer bürgerlichen Kultur im besten progressiven Sinne des Wortes. Oder britische Reihenhäuser, angenehm – in ihrer Art kleinbürgerlich, aber immerhin doch demokratisch und menschennah, also was für ein Haus?" (Kurt Biedenkopf, Deutschland, http://www.wissenschaft-und-frieden.de/seite.php?artikelID=0826 [29.5.2016])
"Hier ist ein Haus geplant, da wohnen sehr viele Europäer drin, unterschiedlicher Größenordnung. Und dann ist aber da mit einem Mal ein sehr sehr großer, ein Super-Europäer, der außerdem von sich sagt, er sei Europäer, es ist aber eine europäisch-asiatische Macht." (Renata Fritsch-Bournazel, Frankreich; http://www.wissenschaft-und-frieden.de/seite.php?artikelID=0826 [29.5.2016])
"Eine Bemerkung zu den ganz Großen. Die unterscheiden sich ja in einem Punkt, nicht? Dieser ganz Große, der wohnt im europäischen Haus, aber wohl auch in einem anderen, nämlich in einem asiatischen [...] Die Amerikaner wohnen überhaupt nicht in diesem Haus, sondern sie haben auf unsere Bitte hin [...] eine Zweitwohnung bei uns im Haus. Aber wohnen tun sie da eigentlich nicht."(Kurt Biedenkopf, Deutschland; http://www.wissenschaft-und-frieden.de/seite.php?artikelID=0826 [29.5.2016])
"Man darf nicht vergessen, wir sind eine große Nation mit sehr vielen verschiedenen Völkern, aber im Endeffekt sind wir eine europäische Nation, eine Nation europäischer Abstammung." (John Kornblum, USA, Botschafter?; http://www.wissenschaft-und-frieden.de/seite.php?artikelID=0826 [29.5.2016])
"Die Leute, von denen wir sagen würden, die gehören eigentlich nicht zu unserm Europa, das heißt nicht, daß das notwendigerweise böse Leute sind. Das können sehr gute Freunde sein, ohne daß sie unsere Hausgenossen sind." (Willem Brugsma, Niederlande ?; http://www.wissenschaft-und-frieden.de/seite.php?artikelID=0826 [29.5.2016])
Quelle 6: Link aktualisieren
Quelle 6
Unter den Suchbegriffen 'Merkel Russland isoliert' findest du auf YouTube eine Rede von Angela Merkel über das Verhältnis zu Russland nach der russischen Annexion der Krim aus dem Jahr 2014.
Aufgabe 5
Zeichne ein Haus Europas. Achte darauf, dass diese Zeichnung Deine Vorstellung von einem friedlichen Zusammenleben in Europa zu Ausdruck bringt.
Organisiert in der Gruppe eine Ausstellung der Zeichnungen zum Thema 'Gemeinsames Haus Europa'.
5. Und die Bedeutung der Russlanddeutschen für die heutige deutsche und europäische Gesellschaft?
Russlanddeutsche Geschichte ist sehr wertvoll für alle Menschen in Europa. Sie beinhaltet die Erfahrungen einer Volksgruppe, die zwischen zwei Staaten und Nationen gelebt hat. Dabei haben insbesondere die durch die Siedlungspolitik Katharinas II. nach Russland eingewanderten Menschen erlebt, wie es ist, wenn man sich an eine andere Gesellschaft anpassen muss, verfolgt wird und seine Heimat verliert.
Die Russlanddeutschen lebten auf der Grundlage eines Privilegs in Russland, das ihnen zunächst weitgehende Unabhängigkeit vom russischen Staat ermöglichte. Sie mussten längere Zeit keine Steuern zahlen und keinen Wehrdienst leisten. Sie bildeten gewissermaßen eine Staat im Staate. Sie pflegten ihre eigene Kultur und die Erinnerung an Deutschland, waren aber zugleich Menschen des russischen Staates und dem Zaren treu. Im Ersten Weltkrieg wollten viele von ihnen sogar Russland gegen die deutschen und österreichischen Truppen verteidigen. Sie hatten also mehrere Loyalitäten und das war auch lange Zeit für niemanden ein Problem. Erst als sich die Souveränität der Völker, die ethnische und kulturelle Einheitlichkeit im 20. Jahrhundert endgültig als Grundlage des politischen Denkens durchsetzte, bekamen die Russlanddeutschen Probleme. Sie wurden fortan als Menschen angesehen, die nirgendwo so richtig hingehören. Man nutzte sie oft aus und trieb sie in ausweglose Situationen. Das führte letztlich fast zum Ende ihres Lebens in Russland.
6. Glaube an die einheitliche Nation oder Streben nach einem guten Leben? Eine Nation, ein Staat, ein Volk
Nach der Französischen Revolution ging die vormoderne Welt in Europa zu Ende. In dieser Welt hatten Nation und Staat eine andere Rolle im Leben der Menschen als im nachfolgenden 19. und 20. Jahrhundert. Gerade die Deutschen im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation waren es gewohnt, mit mehreren staatlichen Ebenen zu leben – sie konnten z.B. zugleich Untertanen ihres Grundherren, ihres Landesherren und des Kaiser sein. Als Deutsche bezeichneten sie sich nur selten. Wenn Menschen damals sagen sollten, aus welchem Land sie kommen, dann sagten sie etwa: ‚Ich bin ein Bürger der Reichsstadt Augsburg oder Nürnberg.’ oder: ‚Ich bin Mecklenburg-Strelitzer.’ oder ‚Wir gehören zum Kaiser.’ Und wenn diese Menschen z.B. einen anderen Landesherren bekamen, so änderte sich an ihrem Leben, ihrer Arbeit, ihrer Sprache, ihrer Religion meistens nicht sehr viel. In dieser Welt lebten auch die Deutschen, die als Kolonisten nach Russland gingen. Sie waren dem Zaren als ihrem Herrn treu, aber lebten ansonsten in ihren eigenen nationalen und regionalen Gewohnheiten weiter. Es war kein Problem, russischer Untertan zu sein und zugleich deutsch zu sprechen, lutherisch zu sein und deutschen Schulunterricht zu bekommen.
Das änderte sich 19. Jahrhundert und 20. Jahrhundert grundlegend. Die Nation wurde zu einem mächtigen Faktor im Leben. Alle Menschen sollten sich nun vor allem anderen dazu bekennen, dass sie Deutsche, Russen, Franzosen oder Italiener waren. Kultur, Land und Volk sollten eine Einheit bilden. Wer in Deutschland lebte, sollte als Deutscher sein, die deutsche Sprache sprechen, deutsche Vorfahren haben und dem deutschen Kaiser gehorchen. Ähnlich ging es den Russlanddeutschen in Russland.
Der Glaube an Staat und Nation und die Folgen
Der unbedingte Glaube an die eigene Nation und die Ablehnung anderer Nationen und Völker nennt man Nationalismus. Seine Entstehung hat zu den Konflikten und Kriegen des letzten Jahrhunderts stark beigetragen. Menschen waren immer wieder wie im Wahn, wenn es darum ging, die eigene Nation zu verteidigen. Sie ließen sich Angst vor anderen Menschen und Kulturen machen und zu Gewalt anstacheln.
Wie sieht die Zukunft aus?
Nach dem Zweiten Weltkrieg sind die freien Staaten und Völker West- und Mitteleuropas einen anderen Weg gegangen. Sie haben sich zusammengeschlossen und die Europäische Union aufgebaut. Menschen in Deutschland sind heute also z.B. Europäer, Deutsche, Bayern und Münchner. Viele politische Aufgaben werden heute auf europäischer Ebene für alle Europäer einheitlich geregelt und das ist grundsätzlich sehr sinnvoll. Angehöriger der Europäischen Union zu sein, bedeutet nämlich nicht, dass man nicht mehr Deutscher, Franzose oder Italiener sein darf. Im Gegenteil. Die Vielfalt der Sprachen, Lebensweisen, Traditionen und Religionen macht die Stärke der Europäischen Union aus. Ein bisschen erinnert das an die Verhältnisse der vormodernen Welt. Wenn man nicht ständig nur die eigene Nation vergöttert und in Angst und Hass lebt, hat man viel eher die Möglichkeit, andere Menschen als Bereicherung zu empfinden. Und man kann mit ihnen zusammen ein friedliches gutes Leben aufbauen.
Der Glaube an Staat und Nation und die Folgen
Der unbedingte Glaube an die eigene Nation und die Ablehnung anderer Nationen und Völker nennt man Nationalismus. Diese Entstehung hat zu den Konflikten und Kriegen des letzten Jahrhunderts stark beigetragen. Menschen waren immer wieder wie im Wahn, wenn es darum ging, die eigene Nation zu verteidigen. Sie ließen sich Angst vor anderen Menschen und Kulturen machen und zu Gewalt anstacheln.
Wie sieht die Zukunft aus?
Nach dem Zweiten Weltkrieg sind die freien Staaten und Völker West- und Mitteleuropas einen anderen Weg gegangen. Sie haben sich zusammengeschlossen und die Europäische Union aufgebaut. Menschen in Deutschland sind heute also z. B. Europäer, Deutsche, Bayern und Münchner. Viele politische Aufgaben werden heute auf europäischer Ebene für alle Europäer einheitlich geregelt und das ist grundsätzlich sehr sinnvoll. Angehöriger der Europäischen Union zu sein, bedeutet nämlich nicht, dass man nicht mehr Deutscher, Franzose oder Italiener sein darf. Im Gegenteil. Die Vielfalt der Sprachen, Lebensweisen, Traditionen und Religionen macht die Stärke der Europäischen Union aus. Ein bisschen erinnert das an die Verhältnisse der vormodernen Welt. Wenn man nicht ständig nur die eigene Nation vergöttert und in Angst und Hass lebt, hat man viel eher die Möglichkeit, andere Menschen als Bereicherung zu empfinden. Und man kann mit ihnen zusammen ein friedliches gutes Leben aufbauen.
Aufgabe 6
Geh in die Kapitel 7.3 und 7.4. Vergleiche die Prägung der nach Deutschland kommenden Spätaussiedler mit den Vorschlägen des Textes 'Glaube an die einheitliche Nation oder Streben nach einem guten Leben?' in diesem Kapitel.
Welcher Nation fühlst du dich zugehörig?Was bedeutet die Nation für dich? Begründe deine Meinung.
Kannst du dir in leben in mehreren Nationen und Staaten vorstellen? Begründe deine Meinung.
Erarbeite dir eine eigene Position zur Frage, wie die Menschen in Europa in Zukunft am besten zusammenleben sollten.
Aufgabe 7
Die Video-Interviews haben dir unterschiedliche russlanddeutsche Menschen gezeigt. Was diese Menschen gemeinsam haben ist, dass sie sich in Deutschland eingelebt haben. Sie sind aktive und erfolgreiche Menschen dieses Landes. Das ist aber nicht bei allen Russlanddeutschen Aussiedlern so.
Finde Russlanddeutsche in deiner Umgebung, die Schwierigkeiten in ihrem Leben haben, weil sie z.B.
die deutsche Sprache nur schlecht sprechen
keine Freunde finden
arbeitslos sind oder
keine guten Leistungen in der Schule haben
Frage diese Menschen, ob sie du ein Interview mit ihnen machen kannst. Wenn sie zusagen, bereite ein Interview vor. Gehe dabei folgendermaßen vor:
Fragen:
Überlege dir Fragen, die du stellen willst. (Diese können Ausbildung, Beruf, Freizeit oder Privatleben betreffen.)
Frage nach Gründen für bestimmte Zustände und Erfahrungen der Interviewten.
Lass dir beschreiben, welche Gefühle und Meinungen die Interviewten mit Russland, Deutschland und den Russlanddeutschen verbinden.
Technik, Raum, Licht:
Überlege, wie du das Interview sichern willst (Video, Audio, schriftlich).
Bereite die Hilfsmittel vor, die du brauchst, um das Interview festzuhalten (Smartphone oder Tablet mit Film- und Audio-Aufnahme-Funktion). Probiere die Technik vor dem Interview aus.
Bereite den Raum vor, in dem das Interview stattfinden soll. (Wo soll der Interviewte sitzen oder stehen? Wo solltest du sitzen oder stehen? Welcher Hintergrund soll ausgewählt werden? Welche Beleuchtung brauchst du? Denke daran, dass du jede dieser Entscheidungen begründen kannst.)
Verwendung:
Überlege dir, wie du das gesicherte Interview nutzen willst. (Beitrag auf der Schulwebsite, in der Schülerzeitung, beim lokalen Rundfunk; Projektausstellung usw.)
Was willst und kannst du mit einer bestimmten Nutzung erreichen?
Entscheide, ob und wie du deine Interviews mit den Interviews des letzten Kapitels zusammenbringst.
Vergiss nicht, den Interviewten um seine Erlaubnis für eine öffentliche Nutzung des Interviews zu bitten.