4.4 Eine deutsch-russische Expedition erforscht das 'Ende der Welt'

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4.4 Eine deutsch-russische Expedition erforscht das 'Ende der Welt'

Im Frühjahr 1733 machte sich in St. Petersburg eine außergewöhnliche wissenschaftliche Expedition auf den Weg. Deren Dauer, Teilnehmerzahl und Kosten übertraf alles, was die Welt bisher gesehen hatte: über 3.000 Beteiligte, Kosten von ca. 1,5 Mio. Rubel (etwa ein Sechstel der Jahreseinnahmen des russischen Reichs), ein Anreiseweg von 14.000 Kilometern und 10 Jahre Forschungsdauer.

Wozu dieser Aufwand? Einer der großen weißen Flecken der Weltkarte sollte erkundet werden: Die Forscher der sogenannten zweiten Kamtschatkaexpedition erkundeten die noch größtenteils unbekannte Nord- und Ostküste Asiens. Sie interessierten sich für die Völker Ostsibiriens, die Pflanzen- und Tierwelt und 'entdeckten' den Nordwesten Amerikas, das heutige Alaska.

Und mitten in diesem Riesenunternehmen, das sich von der russischen Hauptstadt nach Osten aufmachte, waren viele Deutsche. Was suchten Deutsche in Sibirien? Und warum hat man sie in Deutschland nahezu vergessen, während ihnen in Sibirien Statuen und Museen gebaut werden?

1. St. Petersburg als Karrieresprungbrett deutscher Wissenschaftler

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Galerie: Akademie der Wissenschaften

Das Foto zeigt das ehemalige Hauptgebäude der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg. Heute beherbergt es die Petersburger Kunstkammer.

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Galerie: Akademie der Wissenschaften

Einer der wissenschaftlichen Leiter der Kamtschatka-Expedition war Johann Georg Gmelin (1709-1755). Er hatte im Alter von 19 Jahren ein Studium der Medizin und Naturwissenschaften in Tübingen beendet. 1722, drei Jahre später, war er in St.Petersburg Professor für Chemie und Naturgeschichte. Nach seiner Rückkehr aus Kamtschatka verfasste er Werk über die Pflanzenwelt Sibiriens. Im Jahr 1747 kehrte er als berühmter Wissenschaftler nach Tübingen zurück.

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Galerie: Akademie der Wissenschaften

Aber nicht nur deutsche Wissenschaftler zog es nach St. Petersburg: Der französische Astronom Louis De l’Isle de la Croyère (1690-1741) kam mit 36 Jahren an die Akademie. Er nahm ebenfalls an der Kamtschatka-Expedition teil. Während dieser Expedition verstarb er.

Die Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg war im Jahr 1733 gerade neun Jahre alt. 1724 war sie auf Erlass von Zar Peter dem Großen gegründet worden. Er wollte die Akademie zu einem wissenschaftlichen Aushängeschild seiner neuen Hauptstadt machen, zu einer weltweit beachteten Forschungseinrichtung.

Aber woher sollten die dafür benötigten Wissenschaftler und Studenten kommen? Im Russischen Reich gab es Anfang des 18. Jahrhunderts noch keine Universitäten. Der Staat kümmerte sich bis dahin überhaupt nicht um höhere Bildung.

Nun aber warb Russland in Europa um fähige Wissenschaftler und Studenten. Gerade in Deutschland wurde dieser Ruf oft erhört. Hier gab es viele Universitäten. Oft waren diese aber sehr schlecht ausgestattet, und sie interessierten sich auch nicht immer für Naturwissenschaften.

In St. Petersburg war dies anders: Durch die Förderpolitik von Zar Peter und seinen Nachfolgern stand viel Geld zur Verfügung. Und es gab viele Plätze zu besetzen. Viele fähige und interessierte Studenten und Dozenten machten sich also Hoffnungen, in St. Petersburg eine Karriere machen zu können. Sie wollten wissenschaftlichen Ruhm erwerben.

Tabelle 1 Eine Auswahl der Expeditionsleiter von 1733
NameNationalitätAufgabe
Vitus Bering DäneSchiffskapitän
Wassili ProntschischtschewRusseSchiffskapitän
Johann Georg Gmelin DeutscherBiologe
Gerhard Friedrich Müller DeutscherHistoriker/Geograph
Louis De l´Isle de la CroyèreFranzoseAstronom
Zusammengestellt von Lukas Kneser, Institut für digitales Lernen, auf Grundlage von https://de.wikipedia.org/wiki/Zweite_Kamtschatkaexpedition

2. Die Ziele der Expedition

Benannt ist die zweite Kamtschatkaexpedition nach der Halbinsel Kamtschatka in Nordostsibirien. Die Reise ging jedoch nicht nur nach Kamtschatka.

Während der ersten Kamtschatkaexpedition hatte der Däne Vitus Bering bereits herausgefunden, dass es keine Landverbindung zwischen Sibirien und Alaska gab.

Nun sollte die zweite Expedition aber mehr herausfinden:

  • Wie genau verlief die sibirische Küste?
  • Wo begann eigentlich der amerikanische Kontinent? (Alaska war zu diesem Zeitpunkt von Europäern noch völlig unentdeckt)
  • Gab es die Möglichkeit, den asiatischen Kontinent im Norden mit Schiffen zu umfahren und so einen neuen Seeweg von Russland nach China zu eröffnen (Nordostpassage)?

Und außerdem sollte noch das gesamte Ostsibirien, das Russland für sich beanspruchte, erforscht werden:

  • Welche Pflanzen und Tiere lebten dort?
  • Gab es Bodenschätze und andere Reichtümer (Pelze, Holz, etc.) zu bergen?
  • Und welche Menschen lebten dort eigentlich?

In Russland wusste damals niemand genau, wie es am 'Ende der Welt', in Ostsibirien wirklich aussah.

Aufgabe 1

Sieh dir die Weltkarte in der 'Galerie: Ziele der Expedition' an. Vergleiche sie mit einer heutigen Weltkarte.

  • Welche Teile der Erde sind Anfang des 18. Jahrhunderts offenbar noch nicht entdeckt?
  • Welche Teile der Erde finden sich zwar auf der Karte, sind aber offensichtlich falsch eingezeichnet (Meere, Küsten, Inseln)?
  • Stelle eine To-do-Liste für einen Forscher zu Beginn des 18. Jahrhunderts zusammen. Welche Orte müssen noch bereist werden, damit die gesamte Erde als erforscht gelten kann?

Darstellung 1

Die Nordostpassage bleibt verschlossen

Ein Teil der Expedition zog nicht nach Ostsibirien, sondern bog schon früher nach Norden ab, um die russische Küste des Nordpolarmeers zu erforschen. An den sibirischen Flüssen Lena und Ob bauten die Forscher ihre Schiffe. Dann fuhren sie erst nach Norden bis zur Mündung der Flüsse ins Polarmeer. Die Reise ging dann weiter die Nordküste Sibiriens entlang. War es möglich, diese eisige Küste mit einem Schiff entlang zu segeln, oder verhinderte das Wetter das?

Zwar mussten die Schiffe nicht aufs offene Meer hinaus, sondern konnten der Küstenlinie folgen, aber auch das war sehr gefährlich. Mit dem Einsetzen des Herbstes füllt sich das Meer mit Eisschollen und Eisbergen. Den hölzernen Segelschiffen des 18. Jahrhunderts konnte das schnell zum Verhängnis werden. Im Herbst und Winter bildet das Eis eine geschlossene Fläche, das sogenannte Packeis. Ein Schiff, das zu diesem Zeitpunkt nicht in einer geschützten Bucht oder Flussmündung lag, wurde vom Eis eingeschlossen und zerquetscht. Die Mannschaft der Schiffe musste irgendwie den arktischen Winter überstehen, bis im späten Frühjahr das Meer wieder schiffbar wurde. In Erdhütten suchten sie Unterschlupf, ständig mit der verzweifelten Suche nach Brennmaterial (v.a. Treibholz) und Jagdbeute beschäftigt. Die Gefahren waren sehr groß: Wenn ein andauernder Schneesturm zum Beispiel für zwei Wochen die Suche nach Nahrung verhinderte, konnten danach viele Mannschaftsmitglieder erfroren oder verhungert sein.

Die Nordexpedition verlor mehrere Schiffe in der eisigen Einöde. Viele Seemänner starben. Das Ergebnis der Expedition lautete daher: Nein, die Nordostpassage ist nicht mit Schiffen befahrbar. Dennoch war die Expedition nicht umsonst. Sie lieferte erstmals eine genaue Karte des nordrussischen Küstenverlaufs zwischen dem Weißen Meer im Westen und der Beringstraße im Osten.

Lukas Epperlein, Institut für digitales Lernen.

3. Die 'Entdeckung' Alaskas

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Galerie: Alaskareise

Dieses Bild aus dem 19. Jahrhundert zeigt den Schiffbruch der 'St. Peter' von 1741. Die Darstellung ist sehr dramatisch. In Wirklichkeit war kein weiteres Schiff anwesend und die wilden Felsformationen im Hintergrund gibt es auf der flachen Bering-Insel nicht.

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Galerie: Alaskareise

Ein Model der 'St. Peter' in einem Schifffahrtsmuseum in Sewastopol

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Galerie: Alaskareise

Auf dieser sowjetischen Briefmarke ist der Verlauf von Berings Entdeckungsreise links eingezeichnet. Klar zu erkennen ist, dass die Hinfahrt erheblich geradliniger verlief, als die Rückfahrt. Das hängt auch damit zusammen, dass im Nordpazifik Westwind vorherrscht. Damit ist das Segeln nach Westen erheblich leichter ist, als nach Osten.

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Galerie: Alaskareise

Die Kayak-Insel vor der Küste Alaskas: Hier erreichte Berings Mannschaft erstmals Amerika. Berings deutscher Schiffsarzt Georg Wilhelm Steller durfte die Insel gerade einmal zehn Stunden erforschen. Er war wohl der erste Europäer, der den Boden Alaskas betrat.

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Galerie: Alaskareise

Auf der Rückfahrt begegnete die Schiffsbesatzung einheimischen Aleuten in ihren Kajaks. Der Expeditionszeichner Sven Larsson Waxel fertigte diese Zeichnung von ihnen an.

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Galerie: Alaskareise

Das Ende eines aufregenden Entdeckerlebens: Gestrandet und von der Skorbut ausgezehrt, starb Vitus Bering am 19. Dezember 1741 auf der nach ihm benannten Bering-Insel. Noch heute kann man dort sein Grab besuchen.

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Galerie: Alaskareise

Der rettende Heimathafen: Im Sommer 1742 wagten die überlebenden Besatzungsmitglieder der 'St. Peter' auf einem aus Wrackteilen zusammengezimmerten Boot die Überfahrt nach Kamtschatka. Nach 13 Tagen erreichten sie am 24. August den Hafen Petropawlowsk. Von diesem waren sie ein Jahr vorher aufgebrochen.

In seiner ersten Kamtschatkaexpedition hatte der dänische Kapitän Vitus Bering die Beringstraße entdeckt, die Verbindung zwischen Pazifik und Nordpolarmeer. Damit war bewiesen, dass Sibirien im Osten endete und nicht etwa durch eine Landbrücke mit Nordamerika verbunden war. Was aber lag östlich der Beringstraße?

Das sollte der zweite Teil der Expedition erkunden. Zwei Schiffe stachen in See: die 'St. Peter' unter dem Kommando Berings und die 'St. Paul' unter dem Kommando des russischen Kapitäns Alexei Tschirikows. Die Reise begann am 15. Juni 1741 im Hafen Petropawlowsk auf Kamtschatka. Es ging nach Osten, mitten hinein in völlig unbekannte See.

Schon nach wenigen Tagen verloren sich die beiden Schiffe bei einem Sturm aus den Augen. Getrennt voneinander erreichten beide Schiffe Ende Juli die Küste Alaskas. Lange konnten sie jedoch nicht bleiben. Nur wenige Stunden konnten die Forscher das Land erkunden, dann mussten sie sich auf die Rückreise machen. Denn der Herbst nahte und die Rückfahrt war lang.

Im Oktober erreichte die 'St. Paul' Petropawlowsk. Die 'St. Peter' hatte weniger Glück: Sie war zu langsam. Noch im November kämpfte sie sich durch die sturmgepeitschte Beringsee. Am 15. November kam Land in Sicht. Doch es war nicht das erhoffte Kamtschatka, sondern eine vorgelagerte Insel. Im Sturm rissen die Ankertaue, das Schiff wurde auf ein Riff getrieben, die Mannschaft rettet sich an Land. Hier musste sie nun überwintern.

Bering selbst überlebte den Winter nicht. Er starb an der Krankheit Skorbut (siehe Darstellung 2) und wurde auf der Insel begraben. Seitdem heißt sie Beringinsel. Im nächsten Jahr bauten die Überlebenden aus den Überresten der 'St. Peter' ein Boot. Damit gelang es ihnen, im Sommer 1742 endlich den Hafen Petropawlowsk zu erreichen.

Darstellung 2

Skorbut – der Fluch der Seefahrer

Stürme, Unfälle, Trinkwassermangel – das Leben an Bord eines Segelschiffes war gefährlich und forderte regelmäßig Todesopfer. Doch waren nicht diese offensichtlichen Gefahren die häufigste Todesursache für Seeleute. Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein trat unter Schiffsmannschaften, die zu lange auf See waren immer die selbe geheimnisvolle Seuche auf. Los ging es meistens mit einem allgemeinen Schwächegefühl, Gelenkschmerzen und Zahnfleischbluten. Bald kam Ausschlag, Fieber und Durchfall hinzu. Zum Schluss fielen den Betroffenen die Haare und Zähne aus, sie waren zu schwach, um überhaupt noch an Bord zu gehen und starben völlig entkräftet und ausgezehrt in ihren Kojen.

Die Seefahrer hatten schnell einen Namen für diese Seuche: Skorbut. Doch lange Zeit wusste niemand, was sie auslöste und wie sie bekämpft werden könnte. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts fanden Ärzte heraus, dass es sich bei Skorbut um eine Vitamin C-Mangelerkrankung handelte. Die Ernährung von Seeleuten bestand damals größtenteils aus Schiffszwieback und gesalzenem Pökelfleisch. Diese Nahrung war zwar monatelang haltbar, entbehrte aber jeglicher Vitamine. Erst als man anfing, den Seeleuten regelmäßig Vitamin C zu verabreichen (z.B. mit Zitronensaft oder Sauerkraut), hörte das unheimliche Sterben auf den Schiffen auf.

Lukas Epperlein, Institut für digitales Lernen.

Quelle 1

Aus dem Tagebuch des Schiffsarztes Georg Wilhelm Steller

Über die ersten Tage auf der späteren Beringinsel (Ende November 1741)

In diesen Tagen erhielt man denn auch die Nachricht, welche jedermann noch mehr niederschlug, daß unsre Kundschafter im Esten keine Anzeige eines Zusammenhangs dieses Landes mit Kamtschatka, ja auch nicht die geringste Spur von menschlichen Bewohnern, gefunden hätten. Ueberdem standen wir in täglicher Furcht, daß bey den beständigen Stürmen unser Fahrzeug in die See getrieben und damit aller Proviant und Hoffnung zur Erlösung auf einmahl verlohren gehen würde. Wegen der hohen Wellen konnte man oft in mehrern Tagen mit dem Boot nicht an das Schiff kommen [das vor der Küste auf ein Riff aufgelaufen war], um soviel möglich die Bedürfnisse daraus zu landen. Zudem wurden auch noch zehn bis zwölf Mann, die bisher noch immer und über Vermögen gearbeitet und bis zu Ende des Monats oft bis unter die Arme im kalten Seewasser gestanden hatten, nun ebenfalls krank. Überhaupt, Mangel, Blöße, Frost, Nässe, Ohnmacht, Krankheit, Ungedult und Verzweiflung waren die täglichen Gäste.

Über den Tod Vitus Berings

Ohne Zweifel würde er am Leben geblieben seyn, wenn er Kamtschatka erreicht und nur der Wärme eines Zimmers und frischer Speisen sich hätte bedienen können. So aber kam er fast vor Hunger, Durst, Kälte, Ungemach und Betrübniß um, und der ödömatöse Geschwulst der Füsse, den er schon längst von einem gestopften Tertianfieber hatte, wurde durch die Kälte vermehrt und in den Leib und die Brust getrieben, endlich aber seinem Leben, durch den im Unterleibe entstandenen Brand, am 8ten December zwey Stunden vor Tage, ein Ende gemacht. So jammervoll sein Tod seinen Freunden scheinen muste, so bewundernswürdig war seine Gelassenheit und ernstliche Zubereitung zum Scheiden, welches bey völliger Vernunft und Sprache erfolgte.

Über die Überfahrt nach Kamtschatka

Den 13ten August gingen endlich alle, mit vieler innerlicher Bewegung, aus ihren Wohnungen nach dem Fahrzeuge, welches uns entweder nach unserem Vaterlande führen, oder auf irgendeine Art unserm Schicksal den Ausschlag geben sollte. Als wir auf dem Fahrzeug beysammen waren, sahe man erstlich wie enge der Raum und wie beschwerlich die Reise dahero werden würde. [...]
Den 17ten am Dienstag frühe, bekamen wir auf einmal das feste Land von Kamtschatka zu sehen. Wir erreichten selbiges gerade in der Gegend des Kronozkischen Vorgebirges, sahen es auch, wegen trüber und neblichter Witterung nicht eher, als bis wir uns etwa eine Meile von Ufer befanden. Nichts desto weniger blieb man bey dem Vorsatz, nach dem Hafen zu gehen, von welchem wir noch dreißig Meilen entfernt waren. Da aber die ganze Zeit über, unter dem Lande Kamtschatka entweder eine gänzliche Windstille oder der Wind widrig war, so brachten wir noch neun Tage mit lavieren zu, bis wir endlich den 26ten August, da man sich vier und zwanzig Stunden lang ohne Unterlaß der Ruder bedient hatte, in der Nacht in die Mündung des Seebusens, und den 27ten Abends in den längst gewünschten Hafen [Petropavlovsk] selbst kamen.

ödematös: durch Wassereinlagerung verursachte
gestopften Tertianfieber:
Malaria
8ten December: nach dem russischen/julianischen Kalender, nach unserem/gregorianischen Kalender starb Bering am 19. Dezember

Georg Wilhelm Steller, Reise von Kamtschatka nach Amerika mit dem Commandeur-Capitän Bering, St. Petersburg 1793, S. 112f., S. 115f. und S. 129f.

4. Sammeln, suchen, beschreiben – der deutsche Beitrag zur Expedition

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Galerie: Wissenschaft

Eine Darstellung der Asiatischen Pfingstrose aus Gmelins 'Flora Sibirica'.

Gmelin entdeckte und beschrieb die Blume während seiner Sibirienreise.

§ Cc4

Galerie: Wissenschaft

Steller war der abenteuerlustigste der drei Deutschen. Schon vor seiner Fahrt mit Bering bereiste er Kamtschatka mit dem Hundeschlitten. Dabei traf er auf die dort lebenden Itelmenen. Er beschrieb sie ausführlich und bewunderte sie für die Art, wie sie sich an die raue Umwelt angepasst hatten. Sie überlebten in einem Klima, das jeden Europäer bald umbrachte oder in die Flucht schlug.

Hier ist eine Abbildung eines Itelmenen aus einem Lehrbuch des 19. Jahrhunderts zu sehen.

§ Cc4

Galerie: Wissenschaft

Diese Zeichnung einer itelmenischen Winterhütte fertigte Steller selbst an. Zum Schutz vor den eisigen Winden ist sie offenbar vollständig mit Erde bedeckt. Sie ließ sich nur über ein Loch im Dach betreten.

Steller verbrachte viel Zeit bei den Ureinwohnern Kamtschatkas und lernte viel von ihren Überlebenstechniken. Seine dort erworbenen Kenntnisse haben später vielen seiner Kameraden das Leben gerettet.

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Galerie: Wissenschaft

Auf der Bering-Insel beobachtete Steller große Gruppen von riesigen Meersäugetieren. Die nach ihm benannten Stellerschen Seekühe waren wohl nach den Walen die größten Säugetiere der Welt. Mit einem Gewicht von bis zu zehn Tonnen konnten sie doppelt so schwer wie Elefanten werden.

Leider war Steller auch der einzige westliche Wissenschaftler, der jemals eine solche Seekuh beobachten konnte. Knapp dreißig Jahre nach ihrer Entdeckung wurde die letzte Seekuh von russischen Pelzjägern getötet.

Die deutschen Teilnehmer der Expedition waren keine wagemutige Kapitäne und furchtlosen Seeleute, sie waren Wissenschaftler. Der Naturwissenschaftler Johann Georg Gmelin, der Historiker Gerhard Friedrich Müller und der Mediziner Georg Wilhelm Steller steuerten keine Schiffe ins Unbekannte, sie durchreisten den gesamten sibirischen Kontinent (Steller gar bis nach Alaska) und sammelten, beobachteten und schrieben auf. Dieses Land war zwar erobert worden, aber abseits der verstreut liegenden Kosakenfestungen noch völlig unbekannt. Die deutschen Forscher änderten das.

Gmelin kümmerte sich um die Pflanzenwelt: Er sammelte jedes ihm unbekannte Kraut und jede Blume, ließ sie abzeichnen und verfasste nach seiner Rückkehr die vierbändige Flora Sibirica mit über 1200 Pflanzenbeschreibungen. Müller interessierte sich für die Geschichte des Landes und die Sprache seiner Bewohner. Er befragte die Einheimischen, durchwühlte die Archive und verfasste nach seiner Rückkehr seine Sammlung russischer Geschichte – bis heute gilt er damit als 'Vater der sibirischen Geschichtsschreibung'. Steller reiste von den Dreien am weitesten, nämlich auf Vitus Berings Schiff bis nach Alaska. Eigentlich war er als Schiffsarzt mitgenommen worden, aber auch er sammelte wie besessen alles, was ihm unterwegs interessant erschien. Noch als Gestrandeter auf der Beringinsel beobachtete und beschrieb er die dort ansässigen Seekühe, die seitdem seinen Namen trägt (aber schon kurze Zeit später von russischen Jägern ausgerottet wurde).

Darstellung 3: Link actualisieren

Darstellung 3

Eine Dokumentation über den deutschen Wissenschaftler Steller

  • Unter diesem Link findest du den ersten Teil einer zweiteiligen Dokumentation über den Pionier Steller und seine Reise.

Quelle 2

Gerhard Friedrich Müller über das sibirische Volk der Kalmücken

Von den [...] Calmücken, sagt Abdulgasi, daß sie zu Tschingis Zeit in der Gegend der vorerwehnten in den Ikar-muran fallenden 8 Flüsse gewohnet. Sie hatten damahls einen Chan [Khan, mongolisch: König] Tochabegi zum Anführer gehabt, welcher mit seinen beyden Söhnen, Inalzi und Tauranzi, sich eine geraume Zeit dem Tschingis Chan widersetzet, weil sie aber von demselben überwältiget worden, so hätten die Calmücken seithdem die Oberherrschaft der Mongolen erkennen müssen. [...]

Sie theilen sich in vier Hauptstämme, welche sie Dörbön-Ölöth nennen. Dörbön bedeutet in der Calmückischen Sprache die Zahl Viere. Ölöth aber ist theils der allgemeine Nahme des Volks, theils der Nahme des vornehmsten der angeregten vier Hauptstämme. [...] Nachdem das grosse Tatarische Reich der Tschingis Chans sein Ende erreichet, scheinen die Calmücken sich in so viel kleine Herrschaften, als es unter ihnen Geschlechter gegeben, zertheilet zu haben. Diese zogen weit und breit umher, führten oft untereinander Kriege, und waren zuweilen ihren Nachbaren sehr überlästig. In diesem Zustande hat man sie noch zur Zeit der Eroberung von Sibirien angetroffen.

Abdulgasi: Abu'l Ghazi Bahadur (1603-1663), mongolischer Geschichtsschreiber
Tschingis:
Dschingis Khan, gest. 1227, mongolischer Feldherr und Großkönig
Chan: oft auch Khan, mongolisch für 'König'
Tatarisch: mongolisch

Gerhard Friedrich Müller, Sammlung Rußischer Geschichte, Band 6, St. Petersburg 1761, S. 137-140,

Aufgabe 2

1. Fasse die Inhalte der Quelle 2 in eigenen Worten zusammen.

2. Georg Friedrich Müller erforschte in Sibirien Völker, die keine Bücher oder andere schriftliche Quellen produziert hatten.

Nenne zwei Möglichkeiten, um etwas über die Vergangenheit von Menschen zu erfahren, die selber nichts über ihre Vergangenheit aufgeschrieben haben.